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Prof.
Dr. Henning Ernst Müller
Labeling
von »Intensivtätern«?
Karriere eines kriminologischen Theorieansatzes und
seine heutige Relevanz
Wenn
auch die Begeisterung für die wissenschaftliche
Befassung mit dem Strafrecht, dem Jugendstrafrecht und
seinen empirischen kriminologischen Grundlagen entscheidend
für meine berufliche Entscheidung wurde, so war
doch zeitlich mein erstes Berufsziel im juristischen
Studium die Strafverteidigung. Und wenn ich heute beides
tun kann, nämlich über ein kriminologisches
Thema sprechen und das vor Strafverteidigern, dann ist
mir das eine doppelte Freude.
Ich
möchte im Folgenden zweierlei tun:
Erstens
möchte ich Ihnen die erstaunliche, wenn auch nicht
durchgängig erfolgreiche Karriere eines kriminologischen
Theorieansatzes schildern. Was bedeutet »Labeling
Approach« eigentlich? Welche Gedanken stecken
dahinter? Wer waren und sind die Wissenschaftler, die
den Labeling-Begriff »erfunden« bzw. das
dahinter steckende Prinzip »gefunden« haben?
Zweitens
möchte ich die Bedeutung des Labeling Approach
in der heutigen Kriminologie und Kriminalpolitik anhand
der jüngeren Entwicklung der Identifizierung und
Sanktionierung von so genannten Intensivtätern
zu bestimmen versuchen.
I.
Der Labeling Approach
Der
Labeling Approach, direkt übersetzt »Etikettierungsansatz«,
hat viele Namen: Stigmatisierungstheorie, Definitionsansatz,
sozialer Reaktionsansatz und er ist soziologisch bzw.
erkenntnistheoretisch verbunden mit dem Interaktionsansatz
bzw. konstruktivistischen Ansatz. Jeder der genannten
Begriffe hat einen etwas anderen Umfang, aber im Kern
steckt darin derselbe Gedanke. Dieser Gedanke ist
wie viele in der Wissenschaft nicht die Erfindung
oder die Entdeckung eines einzelnen Kopfes. Der Labeling
Approach stellt die Kombination aus zwei Elementen dar:
Erstens der Idee, dass Abweichung nicht (nur) eine Eigenschaft
des Verhaltens ist, sondern eine Zuschreibung durch
normsetzende und normdurchsetzende gesellschaftliche
Instanzen. Und zweitens der Idee des aus unserer Umwelt
gewonnenen Selbstbilds als Grundlage unseres Verhaltens.
Die
erste Idee äußerte schon einer der Gründungsväter
der Soziologie Emile Durkheim (1858-1917):1 »Nicht
weil eine Tat ein Verbrechen ist, verurteilen wir sie,
sondern weil wir sie verurteilen, ist sie ein Verbrechen.«
Gerade
für Strafverteidiger ist dies keine neue Erkenntnis,
denn die Verteidigung stellt ja auch den Kampf um die
Definition und um die Zuschreibung der Strafbarkeit
dar. Der Mandant ist erst dann Straftäter, wenn
er in einem ordnungsgemäßen Verfahren mit
überzeugenden Nachweis rechtskräftig als solcher
verurteilt wurde: Es ist also auch vom Standpunkt der
Strafverteidigung nicht die Tat, die jemanden zum Straftäter
macht, sondern die Verurteilung. Der Gedanke der Verfahrensabhängigkeit
von Feststellungen ist für Juristen im Allgemeinen
nicht fremd, ja er erscheint in rationaler Übereinstimmung
jedenfalls mit dem Strafverfahrensrecht zu stehen. Dieses
hat ja auch die Konsequenz zu vertreten, dass ggf. ein
tatsächlich Schuldiger freigesprochen werden muss.
Die zweite Idee lässt sich zurückverfolgen
bis auf die Soziologie des symbolischen Interaktionismus
von Cooley und Mead. Cooley (1864-1929) prägte
1902 den Begriff vom »Looking Glass Self«.2
Die Analogie mit dem Spiegelbild soll darstellen, dass
jeder Mensch sein Selbstbild in und durch die sozialen
Interaktionen mit anderen konstruiert:
(1)
Wir stellen uns vor, wie wir im Auge der anderen »sind«.
(2) Wir stellen uns vor, wie wir von den anderen bewertet
werden.
(3) Aus diesen Vorstellungen entwickeln wir unser
Selbstbild.
Kurz:
Wir empfinden uns so, wie wir uns in den anderen gespiegelt
sehen.
Ähnlich gelagerte Aussagen finden sich beim richtungweisenden
Soziologen Mead (1863-1931).3 Auch er geht davon aus,
dass das Individuum sein »Selbstbild« erst
durch die Reaktion seiner Umwelt gewinnt. Wir sind nicht
als fertige Persönlichkeiten geboren, sondern wir
reagieren empfindlich auf die Erwartungen und Reaktionen
unserer Umwelt und das, das wir als unser Ich empfinden,
ist geprägt durch diese Interaktion mit der Umwelt.
Meads Theorie des Symbolischen Interaktionismus4 ist
viel grundlegender und weitreichender und kann hier
nicht im Ansatz erörtert werden. Aber auch aus
ihr ergibt sich, dass die durch Akte wie Strafe, Ausschluss
oder das Gegenteil ausgedrückten symbolischen Wertigkeiten,
die das eigene Verhalten durch die Interpretation der
Umgebung erfährt, ausschlaggebend für das
Selbstkonzept des Einzelnen sein können.
Kombiniert
man die beiden genannten Elemente, dann entsteht daraus
der Gedanke, dass die Zuschreibung des Etiketts kriminell
nicht nur den Zugeschriebenen zum »Kriminellen
macht«. Sondern in der Folge akzeptiert und übernimmt
der »Kriminelle« die ihm damit zugewiesene
gesellschaftliche Rolle, nämlich aufgrund seiner
Wahrnehmung, wie er von anderen gesehen wird, was von
ihm erwartet wird, und welche alternativen Lebensweisen
ihm zugleich verschlossen werden.
Kurz:
Die Zuschreibung »kriminell« trägt
möglicherweise dazu bei oder ist gar der entscheidende
Grund dafür, dass der so bezeichnete sich in der
Folge (weiterhin) normabweichend verhält.
Man
ist sich heute relativ einig darüber, dass Frank
Tannenbaum, derjenige ist, der diese beiden Gedanken
als erster kombiniert hat. Er ist damit der Erfinder
des Labeling Approach, wenn auch seine Ansätze
eineinhalb Jahrzehnte lang ignoriert wurden. Tannenbaum,
Kind österreichischer Einwanderer in die USA, war
als junger Mann ein radikaler Gewerkschaftsaktivist.
1914 zog er mit hunderten hungernden Arbeitslosen in
New York City in reiche Kirchengemeinden, um dort Kirchen
zu besetzen. In der Folge wurde er zu einem Jahr Freiheitsstrafe
verurteilt.5 Danach machte er unter anderem den Strafvollzug
zu seinem Forschungsprojekt, über das er 1922 sein
erstes Buch veröffentlichte.6 Leider fehlt mir
die Zeit, den wirklich spannenden Lebensweg von Tannenbaum,
der später eine Professur für lateinamerikanische
Geschichte an der New Yorker Columbia University übernahm,
nachzuzeichnen, aber als einen biographischen Ausgangspunkt
für sein Interesse am »Etikett Kriminalität«
kann man seine eigene Erfahrungen als verurteilter Rechtsbrecher
und Gefangener sicherlich interpretieren.
Nach
seinen eigenen Erlebnissen im Strafvollzug besuchte
er 70 Anstalten in den gesamten USA, und fand überall
seine Erfahrungen bestätigt. Der Unterschied zwischen
denjenigen, die als Kriminelle eingesperrt sind und
denjenigen, die dies nicht sind, sei kein grundsätzlicher
zwischen gut und böse, Täter und Opfer, zwischen
»wir« und »sie«. Dieser grundsätzliche
Unterschied werde lediglich behauptet, um die Bestrafung
zu rechtfertigen. Der Unterschied zwischen Kriminellen
und Nicht-Kriminellen sei tatsächlich aber nur
ein relativer und zufälliger. 16 Jahre später
elaboriert Tannenbaum seine Theorie in seinem Werk Crime
and the Community (1938): Werde ein Akt begangen, existierten
unterschiedliche Definitionen dieses Akts, die Gesellschaft
definiere ihn auf die eine, der junge Delinquent auf
eine andere Weise, abhängig von verschiedenen Werten.7
Die gesellschaftliche Etikettierung des Akts geschehe
durch eine »Dramatisierung des Bösen«
und verschiebe sich auf den Akteur.8 Wer die böse
Tat begangen hat, werde also selbst zum Bösen und
wird künftig primär nach diesem Etikett beurteilt.
Das erste Etikett sei dabei das wichtigste.9 Es verstärke
sich in der Interaktion mit anderen. Der Prozess der
Herstellung des Kriminellen sei ein »Prozess des
Etikettierens, Definierens, Identifizierens, Ausgrenzens,
Beschreiens, Heraushebens«, er werde zu einer
Art »Stimulation und Bestärkung gerade der
Eigenschaften, gegen die man sich wende«.10
»Der
junge Delinquent wird böse, weil er als böse
definiert wird«.11
Der
damit umschriebene »Labeling Approach« begründet
eine neue theoretische Orientierung, eine neue Perspektive
in der Kriminologie, weshalb die damit vertretenen Positionen
sich auch nicht mehr in die bis dahin dominierenden
kriminologischen Theorien einordnen lassen. Mit dem
Labeling Approach wird nämlich zugleich ausgedrückt,
die ätiologische - ursachenforschende - Kriminologie,
die das untersuchte abweichende Verhalten als objektiv
feststehend ansieht und von diesem Ausgangspunkt aus
nach den Ursachen des Verhaltens sucht - seien es biologische,
seien es soziale, ökonomische oder solche in der
Familie oder im Umgang (peer group, Subkultur) liegende
Ursachen, lasse zu Unrecht unberücksichtigt, dass
ein Verhalten zunächst als »kriminelles«
Verhalten definiert und zugeschrieben werden muss.
Die
Idee Tannenbaums fiel zunächst nicht auf fruchtbaren
Boden. Die damalige fest verankerte ätiologische
Kriminologie ließ sich nicht von ihrer quasi naturwissenschaftlichen
Vorstellung abbringen, man könne abweichendes Verhalten
wie Naturerscheinungen auf seine Ursachen untersuchen
und dazu entweder in der Biologie oder in der Psychologie,
in der Erbanlage oder in der Familie Kausalfaktoren
finden. In der Kriminalsoziologie war die moderne Chicago
School führend, die entscheidende Faktoren vor
allem in den sozioökonomischen Verhältnissen,
in den Subkulturen, im Lernen und in den differentiellen
Gelegenheiten suchte und fand.
Erst
in den 50er Jahren hat Edwin M. Lemert (1912-1996) den
Tannenbaum´schen Ansatz wieder aufgegriffen.12
Freilich hat er Tannenbaum nicht als den Vater des Gedankens
herausgestellt noch heute wird deshalb Tannenbaum
oft als bloßer »Vorläufer« genannt,
obwohl er den labeling approach schon voll entwickelt
hatte. Lemert unterscheidet zwischen primärer und
sekundärer Devianz:13 Je nach sozialem Kontext
und nach einer unabhängig vom konkreten Verhalten
schon bestehenden Orientierung werde Verhalten als abweichend
definiert und derjenige, der dieses Verhalten zeige,
einsortiert. Ihm werde die Rolle des Devianten zugeschrieben.
Sei eine solche Definition erfolgt, dann sei der so
Bezeichnete gezwungen - durch die ablehnende oder »helfende«
Reaktion der anderen - sich mit dieser zugeschriebenen
Rolle auseinanderzusetzen. Von außen werde sein
Leben als »Devianter« definiert und seine
Lebensäußerungen um diese Tatsache herum
interpretiert. Eine wesentliche Rolle spiele dabei die
Stereotypisierung von Devianz durch die Kontrollinstanzen
selbst also die Vorstellung der Angehörigen
der Kontrollinstanzen, was einen Abweichler ausmache
und wie man sich ihm gegenüber zu verhalten habe.
Das führe auch zur Betonung und sogar zum Unterschieben
von Eigenschaften, die an sich nichts mit dem devianten
Verhalten selbst zu tun haben, aber aus Sicht der Bewertenden
eng damit zusammenhängen bzw. dafür ursächlich
sind. Man denke etwa an die Betonung von tatsächlichen
oder angeblichen Erziehungsmängeln oder Verwahrlosungstendenzen
in der Schilderung von Lebensläufen von abweichenden
Jugendlichen. Die Rollenzuweisung »abweichend«
führe bei so Definierten zur Gefährdung anderer
positiver Rollen, von denen sie infolge der zugeschriebenen
Rolle als Devianter ausgeschlossen seien und treibe
Betroffene indirekt dazu, innerhalb von Subkulturen
eine neue positive Selbstdefinition zu finden, die im
Einklang mit der Fremddefinition steht. Insgesamt seien
die Reaktionen der Umwelt, Familie, Freunde, Nachbarn,
Lehrer, aber vor allem die offiziellen Kontrollinstanzen
mitursächlich für diesen Prozess, den Lemert
in acht Schritten so erläutert:14
1.
Primäre Devianz;
2. Soziale Strafen;
3. Weitere primäre Devianz;
4. Stärkere soziale Strafen und Ablehnung;
5. Weitere Devianz, möglicherweise mit Feindseligkeit
und Groll gegen die Bestrafenden begangen;
6. Krise im Toleranzquotienten, ausgedrückt in
formeller und stigmatisierender Reaktion der Gesellschaft;
7. Verstärkung des devianten Verhaltens als negative
Reaktion auf die Stigmatisierung und Strafen;
8. Ultimative Akzeptanz des devianten Sozialstatus
und Bemühen um Stabilisierung auf der Basis der
angenommenen Rolle.
Primäre Devianz sei durchaus ätiologischen
Ansätzen zugänglich, während die sekundäre
Devianz demnach eng mit der gesellschaftlichen Reaktion
zusammenhänge. Nach Lemert wird auf der Stufe der
sekundären Devianz die fremde Zuschreibung zu einer
echten Ursache von abweichendem Verhalten: Der als Abweichler
Definierte unternimmt tatsächlich Handlungen im
Sinne der ihm zugeschriebenen Rolle.
Howard
S. Becker (geboren 1928) greift wiederum gut ein Jahrzehnt
später über Lemert noch hinaus: Nach seiner
Überzeugung ist »abweichend« gar keine
Qualität des Verhaltens selbst, sondern existent
nur in der Interaktion zwischen Menschen: »Abweichendes
Verhalten wird von der Gesellschaft geschaffen. Ich
meine das nicht in der Weise wie es gewöhnlich
verstanden wird, dass nämlich Gründe abweichenden
Verhaltens in der sozialen Situation oder in den »Sozialfaktoren«
liegen, die seine Handlung auslösen. Ich meine
vielmehr, dass gesellschaftliche Gruppen abweichendes
Verhalten dadurch schaffen, dass sie Regeln aufstellen,
deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert,
und dass sie diese Regeln auf bestimmte Menschen anwenden,
die sie zu Außenseitern abstempeln.«15
Neu
im Vergleich zu Lemert ist die Betonung der Normentstehung,
d.h. der Aspekt des Normierens als Grundlage der Abweichung.
Beckers Buch »Outsiders« schildert als Beispiel
seine Beobachtungen von Cannabisrauchern. Vieles in
deren Lebensweise beruhe allein darauf, dass das Kiffen
verboten sei und verfolgt werde anders als Alkohol,
der gesellschaftlich voll akzeptiert sei, würden
Cannabisraucher in die Subkultur getrieben und ihr Lebensstil
werde zu einem von Außenseitern.16
Becker
kritisiert v. a. die gängige soziologische Auffassung,
dass Normen auf Konsens beruhten und sich also die Normbrecher,
indem sie gegen den Konsens verstoßen, sich selbst
außerhalb der Norm stellten. Er sagt vielmehr:
Es sind innerhalb der Gesellschaft bestimmte Gruppen,
die ihre Auffassung davon, was Norm sein soll, versuchen
durchzusetzen. In einem ständigen Prozess werde
immer wieder neu ausgehandelt und größtenteils
auch mit politischer Macht durchgesetzt, was Norm sein
solle und was mit Normbrechern zu geschehen habe. Dies
sei politischer Konflikt, nicht Konsens. Demnach seien
die Fragen, welche Normen man schafft und durchsetzt,
welches Verhalten als abweichend gelten soll und welche
Personen als Außenseiter etikettiert werden, politische
Fragen. Es genügt offenbar auch nicht für
eine Abweichung, irgendeine Regel zu verletzen. Regeln
werden dauernd verletzt, ohne dass es zu einer entsprechenden
Zuschreibung kommt. Es kommt auf eine bestimmte Art
von Regeln an auf die Normen, die denjenigen
der sie übertritt, als Objekt einer Zuschreibung
auszeichnet. Und es kommt schon bei der Normsetzung
auf politische und wirtschaftliche Macht an, und die
Normsetzung bedeutet schon eine Selektion, eine Auswahl
derjenigen Verhaltensweisen, die strafrechtlich verboten
werden gegenüber denen die nur zivilrechtliche
Sanktionen nach sich ziehen oder solchen, die auf andere
Weise kontrolliert werden oder gar keine Reaktion nach
sich ziehen. Aber auch die schlichte Gesetzesübertretung
genügt noch nicht. Es muss auch einen konkreten
Akt der Zuschreibung der Normverletzung geben
die Normanwendung. Da nur ein Teil der Normverletzer
auch als Abweichler definiert werden, kommt es auch
hier zu einer Selektion.
»In
dieser Perspektive betrachtet ist Abweichung keine
Qualität einer Handlung, die eine Person begeht,
sondern eher eine Konsequenz der Anwendung von Regeln
durch andere und Sanktionen, mit denen der »Normbrecher«
bestraft wird. Der Deviante ist jemand, auf den das
Etikett »deviant« erfolgreich angewendet
wurde, abweichendes Verhalten ist Verhalten, das Menschen
als abweichend etikettieren.«17
Becker
identifiziert damit zwei entscheidende Selektionsstufen,
die Normsetzung und die Normanwendung und er beschreibt
auch ansatzweise die entsprechenden Selektionsmechanismen.
daraus ergibt sich schon die Forderung, dass sich wissenschaftliche
Untersuchungen über abweichendes Verhalten verstärkt
mit denen befassen sollten, die diese Regeln aufstellen
und durchsetzen, statt sich allein mit den Regelbrechern
zu beschäftigen.18
Becker
hält den Verhaltensaspekt immer noch für eine
Vorbedingung der Definition: Bedeutsam sei durchaus
eine Distanz zur konventionellen Gesellschaft, die dazu
führt, dass aus einzelnem Devianzverhalten eine
deviante Lebensform wird. Becker begegnet dem gängigen
Einwand, Räuber würden andere Leute doch nicht
»deswegen überfallen, weil irgendjemand sie
sie als Räuber bezeichnet hat«, damit, dass
es ein Beitrag seiner Methode sei, die »Aufmerksamkeit
auf die Art und Weise zu lenken, wie das Bezeichnen
den Täter in Umstände versetzt, die es ihm
erschweren, die normalen Gewohnheiten des täglichen
Lebens fortzusetzen, und ihn damit zu »anomalen«
Handlungen veranlassen«.19 Zudem gehe seinem Ansatz
nicht um eine Erklärung der Ursache eines Verhaltens,
sondern um die Erkenntnis der »Unabhängigkeit
von Handlung und Reaktion«.20
Eine
Zusammenfassung der Thesen Beckers gibt Lamnek21:
»1.
Keine Verhaltensweise an sich enthält die Qualität
abweichend.
2. Abweichendes Verhalten wird durch die Normsetzer
definiert.
3. Definitionen abweichenden Verhaltens werden nur
verhaltenswirksam, wenn die Normen selbst angewandt
werden. Normen werden in Interaktionen realisiert.
4. Die Normanwendung erfolgt selektiv, d. h. gleiche
Verhaltensweisen werden situations- und personenspezifisch
unterschiedlich definiert.
5. Die Selektionskriterien können unter den Faktor
Macht subsumiert werden.
6. »Die Etikettierung (labeling) als abweichend
setzt Mechanismen der »self-fulfilling prophecy«
in Bewegung, die weitere Verhaltensweisen erwarten
lassen, die als abweichend definiert sind bzw. als
abweichend definiert werden. Über eine entscheidende
Reduktion der konformen Handlungsmöglichkeiten
durch nonkonforme Verhaltenserwartungen werden abweichende
Karrieren initiiert.«
Beckers
Stichwort »moral entrepreneurs« (»moralische
Unternehmer«) für diejenigen, die die Einführung
neuer Regeln durchsetzen, führt noch zu einem weiteren
Aspekt der Labeling-Perspektive. Man kann Labeling heute
auch in einem umfassenden Sinne als Etikettierung »der
Jugend« oder »Dramatisierung des Kriminalitätsgeschehens«
insgesamt verstehen. Und in der Tat bemerkt man gerade
in Bezug auf Jugendkriminalität eine erhebliche
Dramatisierung, bei der sich Medien und Politik gegenseitig
hochschaukeln. Nicht einmal mit den polizeilichen Zahlen
lässt sich eine erhebliche Steigerung mehr nachweisen,
also tendiert man derzeit zu zwei Szenarien: Entweder
werden Teilbereiche der Statistik als besonders bedrohlich
ausgewiesen, um den Gesamteindruck zu dramatisieren
oder man weist zwar zutreffend darauf hin, dass es weniger
Taten gebe, diese seien aber »immer brutaler«
eine Beschreibung, die sich nicht empirisch überprüfen
lässt und der man angesichts von einzelnen Beispielen
auch kaum zu widersprechen wagt. Indes wird die Klage
über die »immer brutalere« Vorgehensweise
Jugendlicher bei gleichzeitiger Idealisierung angeblicher
früherer Ehrenkodizes der Gewaltanwendung
mindestens seit zwei Jahrzehnten geführt.
Mit
Fritz Sack (geboren 1931) wird Ende der 60er Jahre der
Labeling Approach auch in der deutschen Kriminologie
ein wichtiger Ansatz. Anders als in den USA ist die
Kriminologie in Deutschland noch traditionell von Juristen
und Medizinern dominiert. Sack ist der erste Soziologe,
der nach Studien in den USA in Deutschland einen Lehrstuhl
für Kriminologie besetzt hier in Hamburg.
Man kann wohl mit gutem Recht Sack dafür verantwortlich
machen, dass sich die moderne Kriminalsoziologie in
Deutschland verbreitet hat und er ist vor allem der
wichtigste Vertreter der kritischen Kriminologie in
Deutschland. Sack greift den von Tannenbaum, Lemert
und Becker entwickelten Labeling Approach auf und bettet
ihn ein in eine übergreifende Gesellschaftstheorie.
Radikaler als die vorgenannten Vertreter des Labeling
Approach lehnt er eine täterorientierte kriminologische
Forschung ab. Das kriminologisch relevante Verhalten
sei primär als bloß physikalischer Prozess
zu verstehen, der erst durch die Zuschreibung der Instanzen
der Sozialkontrolle überhaupt zum abweichenden
Verhalten werde. Forschungsrelevant ist unter seiner
Perspektive vornehmlich die Betrachtung der Instanzen
der Sozialkontrolle, beginnend mit der Normsetzung bis
hin zum Strafvollzug. Er will erforschen, »welche
Mechanismen im Spiele sind bei der Konstruktion einer
»sozialen Realität«, die als wesentliche
Ordnungskategorie die des normgerechten und dies abweichenden
Verhaltens kennt.«22
Klarer
als die anderen Labeling-Theoretiker benennt Sack auch
nicht eine bloße »Interaktion« als
Grundlage der Zuschreibung, sondern machtgesteuerte
Zuschreibungsprozesse. Sack beschreibt diese Zuschreibungsprozesse
zudem als Funktionen innerhalb eines Gesellschaftsmodells
materialistischer Orientierung: Kriminalität beschreibt
er als »negatives Gut analog zu den positiven
Gütern wie Vermögen, Einkomen, Privilegien«.
Und dies führt ihn zu der Schlussfolgerung, es
sollten insbesondere die »Verteilungsmechanismen
der negativen eigenschaft Kriminalität« Gegenstand
der Kriminalsoziologischen Untersuchung sein.23
Diese
Perspektive, von manchen als neues »Paradigma«
kriminologischer Forschung begriffen, hat in Deutschland
in den 70er Jahren eine Reihe von Untersuchungen zu
den Mechanismen der Strafverfolgung hervorgebracht,
die bis heute wichtige Erkenntnisse liefern. Es geht
dabei um die Selektionsmechanismen in der Strafverfolgung,
die von der Entdeckung bis zum Urteil bzw. bis zum Vollzug
der Freiheitsstrafe führen und dazu, dass die in
den Strafvollzugsanstalten einsitzenden Gefangenen wesentlich
homogener in ihren Merkmalen sind als diejenigen, die
Straftaten begehen.
II.
Karriere des Labeling Approach in Deutschland
Nun
könnte man vermuten, dass eine solche gesellschaftskritische
Theorie in Deutschland nur geringe Chancen hat, in der
Strafrechtspraxis in irgendeiner Form Bedeutung zu erlangen.
Weit gefehlt! Man kann sogar mit gutem Recht behaupten,
Entstigmatisierung als Strategie gegen Labeling sei
das herrschende Konzept in der deutschen Jugendstrafrechtspraxis
der 70er und 80er Jahre geworden. Der Labeling Approach
ging in den 70er Jahren daran, das bis dahin herrschende
Jugendstrafrecht, das Strafe als pädagogisches
Konzept in den Erziehungsgedanken inkorporiert hatte,
völlig umzukrempeln. Allein verantwortlich war
dafür allerdings meines Erachtens der Labeling
Approach nicht. Es kamen vielmehr mehrere Faktoren zusammen.
Erstens die heute mit »1968« bezeichnete
kulturelle und politische Modernisierung, die sich in
einer Aufbruchstimmung in der Rechts- und Sozialpolitik
durch die sozialliberale Koalition ab 1969 widerspiegelte;
zweitens eine innere Modernisierung, vor allem durch
reformorientiertes Personal in der Jugendhilfe und Justiz;
drittens die sich in empirischen Untersuchungen bestätigende
erzieherische Unwirksamkeit, ja Schädlichkeit der
stationären jugendstrafrechtlichen Reaktionen,
nämlich des Jugendarrests und der Jugendstrafe;
und viertens eine auch damals schon beklagte allgemeine
Überlastung der Justiz. In diese Gemengelage passte
der Labeling Approach, der eine Strategie der informellen
ambulanten Maßnahmen und Non-Intervention durch
Diversion und damit die möglichst frühzeitige
Einstellung des Strafverfahrens zu propagieren schien,
um schädliches Labeling jugendlicher Devianter
zu vermeiden, bestens hinein. Der Labeling Approach
wurde als eine Theorie wahrgenommen, mit der man Diversionsprojekte
legitimieren konnte und mit dem man den Vorrang von
ambulanten gegenüber stationären Maßnahmen
ins Werk setzen konnte, ohne die Befürchtung zu
hegen, die Gesellschaft werde damit vor den »Kriminellen«
kapitulieren.
»Entstigmatisierung«
war bald nicht nur ein Stichwort für ohnehin staatskritische
Sozialarbeiter und Juristen, sondern man konnte auch
eher konservative Politiker und Juristen davon überzeugen,
dass mit der Ausweitung der Diversion durchaus das »Richtige«
getan werde.24 Dies gelang umso besser, weil damit zugleich
eine enorme Einsparung von Ressourcen verbunden war.
Es trafen sich also die Effizienzbestrebungen mit der
Auffassung, es sei ohnehin auch aus erzieherischer bzw.
präventiver Perspektive besser, weniger stark oder
auch gar nicht zu intervenieren.
In
der Folgezeit war die Tendenz zur frühzeitigen
Verfahrenseinstellung in Jugendstrafsachen in der Praxis
kaum mehr aufzuhalten. Die Praxis griff dem Gesetzgeber
vor und nutzte die »Spielräume« des
JGG voll aus, um mit steigender Tendenz von Jahr zu
Jahr bis zu 69% der Ermittlungsverfahren, in denen eine
Anklageerhebung bzw. Verurteilung möglich gewesen
wäre, auf staatsanwaltlicher bzw. jugendrichterlicher
Ebene einzustellen. Erst 1990 wurden diese bis dahin
längst praktizierte Diversion im JGG durch die
Einführung der §§ 45, 47 JGG »legalisiert«.
Die noch bis heute relativ hohen Einstellungsquoten
haben allerdings auch ihre Kehrseite: Denn die, deren
Verfahren nicht eingestellt wird, tragen jetzt ein eigenes
Label: »nicht diversionsgeeignet«. Wer von
den Jugendlichen jetzt noch verurteilt wird, der muss
im Blick seiner Umgebung wirklich schon ein »schwerer
Krimineller« sein. Und abgesehen von einer teilweise
praktizierten »automatisierten« Diversion
aufgrund objektiv zu ermittelnder Tatmerkmale, etwa
bei betragsmäßig geringfügigen Diebstählen,
wirken auch bei der Diversionsentscheidung Selektionsmechanismen
in gravierender Weise, wenn auch in umgekehrter Richtung,
mit. Ein weitgehendes De-Labeling durch die Strafverfolgungsinstanzen
bedeutet eine Marginalisierung derjenigen, die dann
immer noch offiziell und formell etikettiert werden.
Ihr Etikett strahlt nun umso stärker, ihre Außenseiterposition
ist noch krasser als zuvor. Wer jetzt noch in den Jugendarrest
oder gar in den Vollzug kommt, trifft dort nur noch
auf solche Mithäftlinge, die ebenfalls als »nicht
mehr diversionsgeeignet« markiert sind, wodurch
diese Vollzugsarten die Tendenz haben, noch schädlicher
zu werden.
Ende
der 80er Jahre gingen die Reformtendenzen der in der
Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen
(DVJJ) organisierten Praktiker teilweise noch weiter:
Nachdem bestimmte Bagatelldelikte kaum noch zur Anklage
führten, überlegte man, ob nicht eine Entkriminalisierung,
also eine partielle Streichung der Strafnormen für
Jugendliche der richtige und nach der Labeling-Perspektive
auch konsequente Schritt wäre.25
Allerdings
ergab sich etwa ab 1990 im zeitlichen Umfeld der Wiedervereinigung
ein Stimmungsumschwung, der sich schon lange zuvor auch
im »Mutterland« des Labeling Approach und
der Diversion, den USA, gezeigt hatte: Medienöffentlichkeit,
Bevölkerung und auch Rechtspolitik forderten, sich
gegenseitig verstärkend, einen wieder »härteren«
Sanktionskurs gegen Jugendliche. Zur Begründung
konnten diese Akteure auf einen polizeistatistisch gemessenen
erheblichen Anstieg der Jugendkriminalität verweisen
und insbesondere auf die in der gleichen Zeit polizeistatistisch
erhebliche Steigerung der Körperverletzungsdelikte,
bei denen Jugendliche und Heranwachsende tatverdächtigt
wurden. Zwar ist dieser Trend seit 2002 wieder rückläufig,
wie auch Dunkelfelderhebungen belegen, aber das »Problem
Jugendgewalt« blieb auch seither als Medien- und
Wahlkampfthema aktuell. Was niemand mehr bestreitet:
Die Reformorientierung und auch die kritische Kriminologie
insgesamt haben in Deutschland seit ca. 1990 deutlich
an Kraft und Einfluss verloren, auch wenn die Einstellungsquoten
im Jugendstrafrecht immer noch auf hohem Niveau liegen.
Inzwischen stehen die Forderungen nach höheren
Strafen, schnellerer Verurteilung, häufigerer Anwendung
des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende und schließlich
auch die Konzentration auf jugendliche so genannte Intensivtäter
im Vordergrund. Kritische Stimmen und reformorientierte
Praktiker sind deutlich in die Defensive geraten.
III. Der »Intensivtäter«
- kriminologische Grundlagen
Damit
ist das Stichwort »Intensivtäter«26
schon gefallen und ich möchte im Folgenden versuchen,
die Debatte um den Begriff »Intensivtäter«
aufzugreifen und die kriminologischen Grundlagen dieses
Begriffs zu erörtern.
Straftatbegehung ist bei (männlichen) Jugendlichen
ubiquitär, aber nicht gleich verteilt. Ein geringer
Prozentsatz der Jugendlichen (unter 10 %) wird für
eine Mehrheit der Fälle »verantwortlich«
gemacht. Dieser Umstand, an verschiedenen Orten statistisch
erhoben, ist der ursachenforschenden Kriminologie seit
Langem bekannt.27 Die entsprechenden Protagonisten haben
viele Namen bekommen: Mehrfach Auffällige, Mehrfachtäter
Vielfachtäter, Serientäter, Rückfalltäter,
Hangtäter, »career criminal« und seit
etwa zehn Jahren »Intensivtäter«.
Diese
Beobachtung führt schnell zu der Überlegung,
man müsse nur diese Personen einsperren, um damit
eine erhebliche Reduktion des Kriminalitätsproblems
zu erreichen.28
Kriminologen,
die lebenslaufbegleitende Forschung durchgeführt
haben (kriminologische Längsschnittforschung) differenzierten
zunächst bei diesen häufig in Erscheinung
tretenden Personen zwischen LCP-Tätern (»life
course persistent offender«) und solchen auf die
Jugendzeit begrenzten AL-Tätern (»adolescence-limited«),
die nur während der Adoleszenzphase erheblich delinquieren
und später wieder damit aufhören.29 Dies hätte
bedeutet, dass hinsichtlich dieser zwei »Typen«
von Karrieren auch unterschiedliche Reaktionen angemessen
sind: Prävention der Tatbegehung bei LCP-Tätern
scheint eher einer langfristigen Kontrolle, Sicherung
und Einsperrung (»selective incapacitation«)zu
bedürfen, während beim Episodentäter
eher eine Stützung derjenigen Faktoren, die ein
Ende der Karriere (»desistance«) begünstigen,
nahe liegt. Vermutete Ursachen für die Persistenz
wurden vor allem in der Persönlichkeit vermutet:
Kindheitstraumata, familiäre Zerüttung, biologisch
begründete Neigung zum dissozialen Verhalten, die
möglicherweise verstärkt oder gedämpft
werden könne durch soziale Faktoren. Insbesondere
aus dem frühen Beginn einer solchen Karriere lasse
sich spätere Delinquenz prognostizieren.
Eine
Annahme war also, dass man LCP-Täter schon in der
Kindheit als auffällig identifizieren könne.
Typisch für aufwändige kriminologische Längsschnittuntersuchungen
ist die von Odgers und Moffit et. al. durchgeführte
Forschung an einer Geburtskohorte des Jahrgangs 1972
(Dunedin / Neuseeland). Bei ca. 35% wurden im Alter
von 7 Jahren Auffälligkeiten30 notiert. Entgegen
der Erwartung zeigte sich aber, dass nur ein Drittel
dieser in der Kindheit Auffälligen auch noch bis
zum 26. Lebensjahr auffällig war. Damit »erwies
sich die Persistenzannahme bei frühkindlicher Auffälligkeit
als nicht stabil«31 Infolgedessen wurde als weitere
Kategorie neben den Nicht-Auffälligen (»low«),
den LCP- und den AL- Tätern eine weitere Kategorie
notwendig, nämlich CL (»childhood limited«),
eine Gruppe von Personen, die in der Kindheit genauso
auffällig waren wie die späteren LCP-Täter,
jedoch dann ihre Auffälligkeiten reduzierten, so
dass sie bereits im Jugendalter genauso wenig auffällig
waren wie die der Kategorie »low«. Damit
zeigte sich aber, dass eine Vorhersage von Persistenz
aufgrund von Kindheitsauffälligkeiten praktisch
nicht möglich ist. Auch die Gruppe der AL-Täter
erwies sich bei der Beobachtung als nicht klar getrennt
von den anderen. Anders als angenommen brachen diejenigen,
die erst im Jugendalter mit Delinquenz begannen, keineswegs
alle ihre Karriere ab, sondern ca. 20% dieser »Späteinsteiger«
blieben auch weiterhin auffällig. Die These einer
deutlichen Unterscheidung zwischen LCP- und AL-Täter-Karrieren
erwies sich also insgesamt nicht als haltbar.
Auch
weitere Untersuchungen zeigen, dass die Annahme, es
handele sich bei den »Intensivtätern«
um eine von Kindheit bis Erwachsenenzeit weitgehend
»homogene« Gruppe, sich kaum bestätigen
lässt.32 Typisch ist vielmehr, dass aufgenommene
intensive Auffälligkeits-Perioden abgebrochen werden
und dass die zu einem Zeitpunkt statistisch gemessene
Gruppe von Intensivtätern nicht homogen ist, sondern
sich zusammensetzt aus Personen in unterschiedlichen
Phasen ihrer abweichenden Episode. Neuere langfristige
Lebenslauf-Forschung hat diesen Befund bestätigt:
»In
allen Untergruppen setzte mit einer gewissen zeitlichen
Varianz früher oder später ein rapider Kriminalitätsrückgang
ein.«33
Solche
Karrieren konnten auch besser sozial-kontrolltheoretisch
erklärt werden als mit individualistisch-persönlichkeitsorientierten
Ansätzen, d.h. es geht um die schlechtere (oder
bessere) Bindung an Elternhaus, Familie und Schule einerseits
und an delinquente Peers andererseits. Die (neue) lebenslaufkriminologische
These von Sampson/Laub versucht konkret Faktoren für
den Ausstieg, also den Abbruch der Karriere, zu benennen.
Offenbar gebe es aufgrund von besonderen Lebensereignissen
(»gute« Partnerschaft, Familiengründung)
und späten Sozialisationsprozessen (Ausbildung,
»stabiler« Arbeitsplatz) insbesondere zwischen
dem 17. und 32. Lebensjahr neue soziale Bindungen, die
»unabhängig von der vorherigen Delinquenzbelastung
einen Abbruch der kriminellen Entwicklung ermöglichten«.34
Jedoch zeigte sich hier auch ein indirekter, aber starker
Effekt von sozialen Reaktionen auf frühere Delinquenz:
Solche Reaktionen hatten, insbesondere weil die Chancen
auf neue soziale Bindungen, insbesondere auf stabile
Arbeitsverhältnisse, dadurch erheblich verringert
wurden, schädliche Auswirkungen auf die Chancen
zum Abbruch einer kriminellen Karriere. Den Abbruch
einer kriminellen Karriere hindern also in erheblichem
Maße Labeling-Effekte, d.h. solche, die sich aus
der Reaktion auf delinquentes Verhalten ergeben. Dies
ist ja auch keineswegs eine überraschende These
jeder Sozialarbeiter, der mit entlassenen Gefangenen
zu tun hat, wird einem diesen Zusammenhang bestätigen.
Überraschend ist vielmehr, dass solche Thesen zusammen
mit dem Labeling Approach irgendwann während der
80er Jahre schlicht »vergessen« wurden und
die Mainstream-Kriminologie sich wieder verstärkt
persönlichkeitsorientierten Theorien zuwandte,
so als könne man strafbares Verhalten objektivieren
und ganz unabhängig von gesellschaftlichen Reaktionen
betrachten.
Erst
der Blick auf Zusammenhänge zwischen Lebenslauf-Kriminalität
und möglichem Karriereabbruch haben indessen wieder
zu Forschungen angeregt, die den Labeling Approach,
wenn er auch nicht explizit genannt wird, wieder in
den Fokus der Aufmerksamkeit rückten. Ein erster
Trend deutet sich an: Zwar steht diese Forschung noch
am Anfang, jedoch könnte der Labeling Approach
künftig eine wichtige Perspektive der lebenslauferforschenden
Kriminologie darstellen.
IV.
»Intensivtäter«programme
Seit
Ende der 90er Jahre wurden nach und nach in mehreren
Städten, Stadtstaaten und Flächenbundesländern
Deutschlands sogenannte »Intensivtäterprogramme«
ins Leben gerufen. Der »Intensivtäter«
ist das neue »Angriffsziel« polizeilicher
und justizieller Maßnahmen, die sich durchaus
auch in ihren schriftlichen Ausgestaltungen (als Richtlinien
und Runderlasse) eines beinahe militärischen Jargons
bedienen. Meist geht es dabei sehr plakativ ausgedrückt
um die »Bekämpfung« der Jugendkriminalität.35
Die
verschiedenen Programme kennen keine einheitliche Definition,
aber ähnliche Kriterien, die sich hauptsächlich
an der Schwere und Häufigkeit der Tat(en) orientieren,
der die so bezeichneten Betroffenen verdächtigt
werden. Die Eigenschaftsbestimmung folgt entweder einer
starren Definition (z.B. 10 Straftaten in einem Jahr),
einem Punktesystem für bestimmte Taten oder einer
Definition mit Ermessensspielräumen (die Schwere
einzelner Taten kompensiert dann mangelnde Häufigkeit).36
Trotz vieler Unterschiede im Detail lassen sich folgende
Kennzeichen der Programme (fast) übereinstimmend
feststellen37:
1.
Führung von Intensivtäterlisten, zum Teil
auch Rankings38.
2. Polizeiliche »Betreuung« der Intensivtäter
3. Einrichtung besonderer zentraler Zuständigkeiten
bei Polizei (Kommissariate) und StA (Dezernate/Abteilungen)
4. »Gefährderansprachen« durch Polizei
5. Informationsvernetzung verschiedener Behörden
(Polizei, StA, Ausländerbehörde, Jugendamt,
Schulen)
6. »Fallkonferenzen«, bei denen verschiedene
Behördenvertreter unter Leitung der Polizei oder
Staatsanwaltschaft über einzelne Fälle von
Intensivtätern beraten, teilweise auch unter
Einbeziehung der Betroffenen und ihrer Eltern
7. Keine formelle spezielle gesetzliche Grundlage,
sondern Richtlinien«recht«, aufbauend
auf polizeilicher Generalklausel
8. Strafverteidiger tauchen in den Intensivtäterprogrammen
nicht auf
Kern
eines solchen Programms ist die Liste bzw. die Datenbank,
in der die Intensivtäter aufgeführt werden.39
Die Kriterien sind aber wie schon gesagt unterschiedlich.
In manchen Programmen ist es ein Punktesystem, mit dem
die Intensivtäter »gerankt« werden.
»In
Niedersachsen ist es das polizeiliche Auskunftssystem
Polas, in dem Jugendliche, die innerhalb eines Jahres
35 Punkte gesammelt haben, als Intensivstraftäter
markiert werden. Das solle jedoch, so sagt Behördensprecher
Engemann, anders als Kritiker moniert haben, keineswegs
stigmatisieren. Es geht um Prävention.«40
Ebenfalls
in jedem Programm ist die Gefährderansprache verankert
sie ist keine Vernehmung, sondern geschieht im
Rahmen des Polizeirechts, häufig schlicht auf die
Generalklausel gestützt:
»Wir
machen parallel dazu Gefährder-Ansprachen, die
beginnen mit einem Erstgespräch, an dem auch die
Staatsanwaltschaft teilnehmen kann. Im Vorfeld gibt
es dazu eine Absprache mit der Staatsanwaltschaft und
den Bezirksbeamten. (
) Der Intensivtäter
weiß dann durch dieses erste Gespräch, dass
er in dieses Programm aufgenommen worden ist. Er kennt
seine Ansprechpartner. Und diese Gefährder-Ansprache
wird von da an alle 14 Tage durchgeführt.«41
Zentrales
Element ist die Fallkonferenz:
»Dabei
handelt es sich um einen Informationsaustausch zwischen
den Behörden und Institutionen, die (
) jetzt
die Intensivtäter mitbetreuen. Da ist die Staatsanwaltschaft
beteiligt, die Jugendgerichtshilfe, das Schulamt mit
ihren einzelnen Abteilungen, die Sachbearbeiter vom
KK 57. (
) Einmal im Monat werden dort zwei neue
Fälle besprochen, (
) und überlegt, wie
man mit den betreffenden Personen weiter verfahren kann
(
) welche Maßnahmen jetzt am Sinnvollsten
sind. Nicht um zwangsläufig zu einer Verurteilung
zu kommen, sondern um die Dinge zu entdramatisieren.«42
Programmverantwortliche
berichten über erhebliche Rückgänge.43
Der
Leiter der Abt. 47 Intensivtäterabteilung
- der Staatsanwaltschaft Berlin berichtet, »klare
Mehrheiten sogar der Intensivtäter (seien) nach
einer bedingten Verurteilung jedenfalls nicht mehr einschlägig
aufgefallen«.44 Bei der Interpretation dieser
Erfolge ist jedoch zu bedenken:
1.
Input und Output wird durch dieselbe Behörde
gesteuert, so dass die Zahlen methodisch nicht zuverlässig
und unabhängig überprüft worden sind.
2. Hellfeld/Dunkelfeld-Effekt: Die besondere und angekündigte
Aufmerksamkeit der Polizei kann nicht nur einen echten
Abbruch, sondern auch das nun vorsichtigere Vorgehen
bei der Delinquenz zur Folge haben.
3. Ein Abbruch ist »normal« und bedeutet
nicht, dass dieser durch das Programm erzeugt wurde.45
Den
der Öffentlichkeit gemeldeten »Erfolgen«46
stehen zum Teil erhebliche Kritikpunkte gegenüber:
Die Aufnahme in Intensivtäterliste geschieht trotz
massiven Eingriffscharakters ohne reguläres Verwaltungsverfahren.
Die Programme tendieren dazu, Sozialarbeit in die Polizei
zu verlagern47, d.h. nicht dafür ausgebildete Polizeibeamte
sollen nicht nur die Abwehr konkreter Gefahren und die
Ermittlung begangener Straftaten vornehmen, sondern
eine Art »Einzelfallbetreuung« leisten.
In den Intensivtätermodellen bekommt die Polizei
wesentlich mehr faktische Kontrolle als in sonstigen
Verfahren, in denen sie ohnehin schon als zentrale Ermittlungsinstanz
anzusehen ist. Die Einrichtung von staatsanwaltlichen
Spezialabteilungen für »Intensivtäter«
benutzt eine für das Stadium des Ermittlungsverfahrens
juristisch unangemessene Terminologie48 und widerspricht
bei Einbeziehung von Personen aus allen Altersgruppen
(wie etwa in Berlin) § 36 JGG.49
Damit
erlangt repressives Vorgehen die Dominanz gegenüber
helfender und fördernder Jugendhilfe.50 Die Polizei
spricht die »Intensivtäter« an, sie
stellt die Daten zusammen, sie greift auf diese Daten
zu und sie entscheidet auch, wann eine Person wieder
von der Liste gelöscht wird. Sie ist damit die
entscheidende proaktive Instanz im gesamten Präventionsansatz.
Die Jugendhilfe ist hingegen oft nur noch als Zuträger
der Polizei und Staatsanwaltschaft anzusehen. Die finanziell
und personell besser ausgestattete Polizei verdrängt
damit insbesondere in »Problembezirken«
mehr und mehr die Jugendhilfe, an der tendenziell gespart
wird.
Die Fallkonferenzen finden meist ohne den Betroffenen,
aber immer ohne Verteidigung statt, obwohl hier über
Weichenstellungen entschieden werden soll. Diese Verhandlungen
werden auch nicht protokolliert, so dass sich in späteren
Akten auch nichts dazu findet. Es ergibt sich eine erhebliche
Datenschutz-Problematik: Da es keine gesetzliche Grundlage
für den Austausch der Daten gibt, wird der Betroffene
bzw. seine Eltern bei Aufnahme in das Intensivtäterprogramm
meist dazu angehalten, pauschal eine Einwilligung zum
Datentausch zu geben.
Rechtswidrig
erscheint auch die Aufnahme strafunmündiger Kinder
in eine staatsanwaltlich zu bearbeitende »Täter«liste
sowie die Einbeziehung von Delikten, bei denen ein Freispruch
oder eine Einstellung nach § 170 II StPO erfolgt
ist51, bei der Deliktszählung. Beide Sachverhalte
widersprechen Art. 6 Abs.2 EMRK (Unschuldsvermutung).
In einigen Programmen ist eine Anzeigepflicht für
Lehrer bzw. die Schule vorgesehen.
All
diese Punkte werden diskutiert, haben aber bislang nicht
dazu geführt, dass man die Intensivtäterprogramme
überdenkt. Im Gegenteil: Die »Erfolge«
scheinen weiteren Intensivtäterprogrammen in Städten,
Landkreisen und Bundesländern Auftrieb zu geben.
Die
Folgen der intensiven »Betreuung« von Intensivtätern
sind eine hohe Inhaftierungsquote (ca. 50% der Intensivtäter
Berlins sitzen in verschiedenen Vollzugseinrichtungen
oder in U-Haft-Vermeidungsinstitutionen) und eine verstärkte
polizeiliche Kontrolle, die zudem dazu tendiert, junge
Menschen mit »Migrationshintergrund« überproportional
zu erfassen. So wird von der Staatsanwaltschaft Berlin
offenbar Untersuchungshaft als Sanktionierung bzw. gar
»Erziehungsmittel« eingesetzt.52 Obwohl
dies von den Verantwortlichen teilweise bestritten wird,
lässt sich daher zumindest eine Tendenz zur Prävention
durch Einsperrung erkennen. Der »Erziehungsgedanke«
als beherrschendes Motiv des Jugendstrafrechts kommt
hingegen in den Intensivtäterprogrammen kaum vor.53
V.
Intensivtäter als »label«
Es
lässt sich nach allem gut vertreten, dass die Bezeichnung
als »Intensivtäter« ein klassisches
Label nach dem Labeling Approach darstellt und die Folgen
dieses Labels den Effekt haben, den der Labeling Approach
voraussagt: Die »Intensivtäterliste«
wäre damit nicht ein innovatives Präventionsmodell,
sondern könnte sogar mit dazu beitragen, was sie
eigentlich verhindern soll: persistierende Kriminalität.54
Die besondere Eignung als Label zeigt sich an der Zuschreibung
dieser Eigenschaft durch die Aufnahme auf einer polizeilich
geführten Liste, der hinzu kommenden direkten oder
indirekten Bezeichnung auf Aktendeckeln der Staatsanwaltschaften,
der umfassenden Behördeninformation und
nicht zuletzt der umgehenden und regelmäßigen
Information des Betroffenen über seinen »Status:
Intensivtäter«. Letzterer eignet sich
und das zeigen Praxisberichte ganz deutlich, auch besonders
gut als Identifikationsanlass für junge Delinquenten,
die meist in ihrem bisherigen Leben kaum einmal größere
Anerkennung erfahren haben als die durch die Polizeibeamten,
die ihnen ungewollt, aber unvermeidbar, diesen besonderen
»Status« verleihen, der in ihrer eigenen
Umgebung auch als »Heldenstatus« angesehen
wird.
Die
Funktion der Programme ist ganz deutlich und wird keineswegs
bestritten: Die »Intensivtäter« sollen
besonderer Aufmerksamkeit und besonderen Maßnahmen
ausgesetzt werden, wobei diese Maßnahmen im Einzelnen
durchaus erzieherisch angemessen sein können, jedoch
häufig auch infolge eines medienöffentlichen
Diskurses zur sichernden Einsperrung tendieren. Ein
koordiniertes Gespräch verschiedener Behördenvertreter
unter Einbeziehung des Betroffenen inklusive einer »Zielvereinbarung«55
kann zwar aus erzieherischer Sicht durchaus sinnvoll
sein. Jedoch wird in den aktuellen Programmen entgegen
der gesetzlichen Konzeption ein Teil der eigentlich
dem Hauptverfahren in Jugendsachen zugewiesenen Aufgaben
auf das Vorfeld der Hauptverhandlung verlagert, und
ein Teil der erzieherischen und fördernden Tätigkeiten
der Jugendhilfe wird an die Polizei delegiert.
In
den Strafverfahren wird allerdings von den beteiligten
Juristen zumindest unausgesprochen erwartet, dass sie
die Kennzeichnung »Intensivtäter« auch
in ihren Entscheidungen (Anklage und Urteil) angemessen
berücksichtigen, so dass nicht notwendig, aber
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus der Bezeichnung
als »Intensivtäter« ein besonders zu
behandelnder »Tätertypus« geschlossen
wird56, der regelmäßig auch mit härteren
Sanktionen zu rechnen habe.
Daher
ist auch zu befürchten, dass das Label »Intensivtäter«
besonders intensive Reaktionen im Sinne einer »selective
incapacitation« durch länger andauernde stationäre
Maßnahmen wie Jugendstrafe, in Zukunft sogar bis
hin zur Sicherungsverwahrung zur Folge haben
könnte. Und dies kann, wie vom Labeling Approach
vorhergesagt und von neuerer Forschung bestätigt
wird, den künftigen Abbruch einer Delinquenzkarriere
eher hindern als fördern.
Anmerkungen
1
Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung (urspr.
1893) 1977, S. 123.
2 Cooley: Human Nature and the Social Order. 1902.
3 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft aus
der Sicht des Sozialbehaviorismus (urspr. 1934) 1973
4 Vgl. Blumer,Symbolic Interactionism 1969.-
5 Emma Goldman, Living my Life, Kap. 40, abrufbar
unter http://dwardmac.pitzer.edu/Anarchist_Archives/goldman.
6 Tannenbaum, Wall Shadows, a Study in American Prisons,
1922.
7 Tannenbaum, Crime and the Community 1938, S. 17.
8 Tannenbaum 1938, S. 17.
9 Tannenbaum 1938, S. 19.
10 Tannenbaum 1938, S. 19 f.
11 Tannenbaum 1938, S. 17 f.The young delinquent
becomes bad because he is defined as bad and because
he is not believed if he is good.
12 Lemert, Social Pathology: A systematic Approach
to the Theory of Sociopathic Behaviour 1951.
13 Lemert 1951, S. 75 f.
14 Lemert 1951, S. 77.
15 Becker, Outsiders (urspr. 1963) Außenseiter
1973, S. 8.
16 Becker 1973, S. 36 ff.
17 Becker 1973, S. 8 unter Bezugnahme auf Frank Tannenbaum.
18 Becker 1973, S. 148.
19 Becker 1973, S. 161.
20 Becker 1973, S. 176
21 Lamnek, Theorien abweichenden Verhaltens, 1996,
S. 227.
22 Sack, Neue Perspektiven in der Kriminologie, in:
Sack/König: Kriminalsoziologie, 1968, S. 431
(475).
23 Sack 1968, S. 470.
24 Zur Kritik vgl. H.E.Müller, Diversion im Jugendstrafrecht
und rechtsstaatliches Verfahren, in: Deutsche Richterzeitung
1996, S. 443 ff.
25 Vgl. Röding, Subsidiarität im Jugendstrafrecht
Programm oder Leerformel? In. DVJJ (Hrsg.):
Jugend im sozialen Rechtsstaat. Für ein neues
Jugendgerichtsgesetz, S. 230 (235 ff.).
26 Nach Eisenberg, JGG 2009, § 5 Rn. 86, entspricht
der Begriff »Politjargon« und ist strafjustiziell
»ungeeignet« und »irreführend«.
27 Ohder, »Intensivtäter« im Spiegel
von Akten der Berliner Staatsanwaltschaft, in: ZJJ
2007, 56: »Zählt zu den stabilen befunden
kriminologischer Forschung«.
28 Walter, Mehrfach- und Intensivtäter: Kriminologische
Tatsache oder Erfindung der Medien?, ZJJ 2003, 159
(160): »beflügelte die kriminalpolitische
Phantasie (
) Chance, die Kräfte auf die
hochbelastete Gruppe zu bündeln, um (
)
notfalls im Wege der Haft das Kriminalitätsaufkommen
wesentlich zu verringern.
29 Vgl. zum Folgenden eingehend Boers, Delinquenz
im Lebensverlauf, in: Handbuch der Forensische Psychiatrie,
Bd. 4 2009, S. 144 ff. mit umfassenden Quellennachweisen.
30 Auf der von den Forschern genutzten Skala waren
dies die Auffälligkeiten: Schlagen, Mobbing,
Sachbeschädigung, Lügen, Schulschwänzen,
Diebstahl.
31 Boers 2009, S. 145.
32 Boers, S. 148.
33 Boers, S. 148.
34 Boers, S. 158.
35 Vgl. Ausdrucksweise des Justizministeriums Baden-Württemberg
zur »Jugendkriminalität«, abrufbar
unter www.stakarlsruhe.de; Sprachstil des Runderlasses
Niedersachsen, abrufbar unter www.schure.de: ;insgesamt
einen nahezu militaristischen Sprachstil äußern
Henkel/Neumann, Intensivtäterbekämpfung
in Köln, in: der kriminalist 09/2005, abrufbar
unter www.dvjj.de
36 Von Köln wird berichtet, es solle sogar berücksichtigt
werden, ob ein Fall von den Medien aufgegriffen wurde,
dazu Walter, ZJJ 2003, 160.
37 Vgl. LKA Niedersachsen/Salgmann, Das Phänomen
»Jugendliche Intensivtäter« aus Sicht
der Polizei - ein Ländervergleich, PowerPoint-Präsentation,
abrufbar unter www.dvjj.de; vgl. auch Brodkorb, Berliner
Umgang mit »Intensivtätern«, ZJJ
2006, 62.
38 Ein Intensivtäter Ranking wird dargestellt
von Henkel/Neumann, Intensivtäterbekämpfung
in Köln, in: der kriminalist 09/2005, S. 3,.
abrufbar unter www.dvjj.de.
39 Im Berliner Programm wird diese Liste »tagesaktuell
per E-Mail« an alle Beteiligten Institutionen
Jugendämter, Ausländerbehörde,
Bewährungshilfe, Strafanstalten und Jugendarrestanstalten
verbreitet, vgl. Reusch, ZJJ 2007, 296.
40 GRÄ, Bei Faktor 35 wird es eng für jugendliche
Intensivtäter, in: Taz vom 16.06.2009, abrufbar
unter www.taz.de.
41 Meißner (Polizei Köln) zitiert von Jünschke,
Das Kölner Intensivtäterprogramm, in: Neue
Rheinische Zeitung Mai 2007, abrufbar unter www.nrhz.de
42 Meißner, wie Fußnote 42.
43 Henkel/Neumann, Intensivtäterbekämpfung
in Köln, in: der kriminalist 09/2005, S. 6 f.
44 Reusch, ZJJ 2007, 299.
45 Insofern ist aufschlussreich eine Vergleichsstudie
in Schottland, nach der ein den Intensivtäterprogrammen
ähnliches Konzept (»Fast Track«)
zwar ebenfalls zu einer erhebliche Reduktion der Rückfälle
geführt hatte, diese Reduktion in der »nicht
behandelten« Kontrollgruppe aber noch größer
war, woraufhin das Programm nicht weiter verfolgt
wurde. Dazu Hill et. al., More Haste, Less Speed?
An Evaluation of Fast track Policies to Tackle Persiostent
Youth Offending in Scotland, in: Youth Justice 2007,
121 ff.
46 Zu einer aktuellen Studie in Hamburg vgl. Block,
Brettfeld und Wetzels, Jugendliche Mehrfach- und Intensivtäter
in Hamburg, in: ZJJ 2009, S. 129 ff.
47 Vgl. dazu Gerhard, Das Haus des Jugendrechts
Wohnsitz kriminalpräventiver Ansätze oder
Unterschlupf repressiven Vorgehens? in: ZJJ 2008,
S. 184 (187).
48 Eisenberg, NStZ 2006, 522: »tatverdächtigen-
bzw. beschuldigtenfeindlich«. Zudem ergibt sich
etwa im Berliner Programm eine Quote der Einstellungen
nach § 170 Abs. 2 StPO von ca. 25 %, vgl. dazu
Ohder, ZJJ 2007, 63.
49 Eisenberg, NStZ 2006, 523; Ostendorf, ZJJ 2007,
300.
50 Vgl. Steffen, Mehrfach- und Intensivtäter:
Aktuelle Erkenntnisse und Strategien aus dem Blickwinkel
der Polizei, ZJJ 2003, 152 (157 f.):»Prävention
durch Repression«. Walkenhorst, Verständnis-Konfrontation-Verantwortung,
ZJJ 2003, 164 ff. zeigt auf, welche Möglichkeiten
und Ansätze jenseits repressiver Reaktionen aus
pädagogischer Sicht in Betracht kommen.
51 Vgl. Bekämpfung der Kinder- und Jugenddelinquenz;
Landesrahmenkonzept »Minderjährige Schwellen-
und Intensivtäter, Gemeinsamer Runderlass,
abrufbar unter www.schure.de.
52 Vgl. Reusch, Intensivtäter in Berlin
Rechtstatsächliche und kriminologische Aspekte,
ZJJ 2007, 298 f.; vgl. van Bebber/Füchsel, Erste
Erfolge gegen jugendliche Intensivtäter, Tagesspiegel
vom 18.01.2005: »Bewährt hat sich offenbar
die Strategie, die Jugendlichen »von der Straße
zu holen«, sie also von ihrer Familie, den Freunden
und dem Kiez für längere Zeit zu trennen
durch Gefängnisse oder stadtferne Erziehungsheime.
»Je früher man die Chance hat zuzugreifen,
desto besser«, sagt Reusch.«
53 Vgl. Ostendorf, »Intensivtäterbekämpfung«
auf Abwegen«, in: ZJJ 2007, 300.
54 Brodkorb, ZJJ 2006, 64: »Somit wäre
es nicht abwegig, die Einrichtung der Abt.47 rechtstatsächlich
als Rekrutierungsapparat für zukünftige
Rezidivisten zu interpretieren«.
55 Vgl. Müller-Rakow, Fallkonferenzen in Ermittlungsverfahren
gegen Jugendliche und Heranwachsende »Mehrfach-
und Intensivtäter« in: ZJJ 2008, 275 (277).
56 Vgl. die kaum reflektierten stereotypischen »kriminologischen«
Erwägungen des damaligen Leiters der Abt. 47
Reusch, ZJJ 2007, 298 (299).
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