VERSTŸRKER: Nr. 0, Simulation von Bernhard Dotzler VERSTŸRKER. Von Strömungen, Spannungen und überschreibenden Bewegungen
Jg. 1, Nr. 1, Oktober 1996, ISSN 1431-6102. Herausgegeben von Markus Krajewski und Harun Maye

Achtung: Diese Arbeit ist "work in progress" und erscheint demn”chst als Artikel im Lexikon f¸r Ÿsthetik, Berlin, 1996.

SIMULATION - simulation - simulation

Von Bernhard Dotzler

1. Einleitung

Der Begriff der Simulation involviert gleichzeitig eine sehr lange und eine sehr kurze Geschichte. Sein Aufstieg zur vieldiskutierten Zentralkategorie w”hrt noch nicht l”nger als etwa die letzten drei, vier Jahrzehnte. Simulation in diesem Zuschnitt betreibt nicht mehr nur - wie vormals - die Vorspiegelung ihr externer Dinge, um vielmehr die Vorspiegelung selber an die Stelle der Dinge treten zu lassen und so aus bis dahin unvordenklicher Eigenmacht die Parameter der Frage neu zu bestimmen, warum etwas ist und nicht etwa nichts.

Von Simulation als ”sthetischem Grundbegriff zu reden, ist gleichbedeutend mit - bzw. ist ¸berhaupt nur gerechtfertigt aufgrund - dieser Umwertung aller Werte. Allein schon auf Wortebene gilt hier in besonderem Maþe, was bereits Horaz einst hervorgehoben hat: ªmortalia facta peribunt,/ nedum sermonum stet honos et gratia vivax. multa renascentur quae iam cecidere cadentque/ quae nunc sunt in honore vocabula, si volet uses,/ quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi.´ Ganz in diesem Sinn hat jedenfalls die Vokabel eine, vor dem Hintergrund ihrer j¸ngsten Konjunktur gesehen, durchaus wechselhafte Geschichte. Nichts anderes aber gilt sodann auf der Ebene des Begriffs. Ihn heute ad”quat zu denken versuchen heiþt in der Tat, wie Benjamin einmal notierte, ªden Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben´. Und die Unterscheidung, die dieselbe Notiz f¸r ªden Dialektiker´ trifft, ist zumal im Rahmen einer Begriffsgeschichte der Simulation zu beachten: ªDenken heiþt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden, das ist wichtig. Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff.´ Nur so n”mlich kommt Simulation als ebenso konturierte wie dadurch entscheidende Kategorie der Ÿsthetik zum Tragen.

Leitender Gesichtspunkt muþ - und wird im folgenden - deshalb die buchst”bliche Revolution sein, durch die das Wort gegen seinen von alters her so pejorativ besetzten wie insgesamt nebens”chlichen Gebrauch sich in einen f¸r die gegenw”rtige Lage zentralen und dabei - selbst und gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit seinem Sachgehalt - positiv verwendeten Terminus verwandelt hat. Vor dem Hintergrund dieser Revolution erst wird Simulation relevant f¸r Ÿsthetik: durch die Macht, Ÿsthetik dahingehend zu transformieren, daþ sie aufh–rt, auf den Bereich der sch–nen K¸nste beschr”nkt zu sein, um vielmehr (erneut) f¸r das gesamte Feld - und hier zumal seiner medialen Besetzungen - der aisthesis sich zu –ffnen.

2. Vorgreifende Begriffserl”uterung

2.1 Historisch-epistemologisch-semantische Spannbreite und aktuelle Verwendung des Begriffs

Simulation im heutigen Wortgebrauch, kann als Gegenbegriff zu Mimesis verstanden werden, als Begriff f¸r die Funktion von Zeichenprozessen, in deren Vollzug es nicht notwendig darum geht, ein Vorbild nachzuahmen. Simulationen lassen statt dessen Bilder und Situationen entstehen, die keinen anderen R¸ckhalt haben als das Medium, das sie hervorbringt. Nicht erst ihre Vervielf”ltigung bewirkt, daþ sie sich - mit Benjamins Kriterium f¸r den Effekt technischer Reproduzierbarkeit - aus einem ihnen angestammten Bereich herausl–sen: Sie haben keinen. Jedes, schon das erstmals generierte Computerbild ist ein Duplikat seiner selbst, unwirkliches Glied einer ganzen Reihe beliebig h”ufiger und ganz in sich verselbst”ndigter Verwirklichungen.

ªNous pouvons dÈfinir la modernitÈ par la puissance du simulacre´, hat Gilles Deleuze mit Blick auf diese Verselbst”ndigung einmal festgehalten. Zugleich galt sein Interesse dabei nicht zuf”llig jenem ªmotif platonicien´, das da lautet: ªdistinguer la chose mÍme et ses images, l'original et la copie, le modËle et le simulacre.´ Denn von Platon her stammt die Pr”gung des Begriffs der Simulation in seiner ¸ber die Jahrhunderte hinweg sich erhaltenden eher negativen, jedenfalls ¸berwiegend pejorativen Besetzung - so wie seine Umwertung mit dem gegenteiligen Motiv eines Renverser le platonisme einhergeht. Simulation erzeugte nach dieser ihrer Festschreibung durch Platons Bild-Kritik noch nicht einmal g¸ltige Abbilder eines Urbilds, sondern lediglich Abbilder von Abbildern - Trugbilder, Wahnbilder. So wird beispielsweise dann auch der Wahn des Pygmalion durch Ovid angesprochen, wenn jener in die von ihm geschaffene Statue sich verliebt: ªmiratur et haurit/ pectore Pygmalion simulati corporis ignes´, und in vergleichbarer Weise findet man das Verb ªsimulare´ bei Horaz gebraucht, um die Unangemessenheit einer Dichtkunst zu bezeichnen, die rein um die Perfektion t”uschend echter Darstellungstechnik bem¸ht ist: ªet fortasse cupressum/ scis simulare: quid hoc, si fractis enatat exspes/ navibus, aere dato qui pingitur?´

Allerdings, was Horaz' Ars poetica angeht, ist das auch schon die einzige Wortverwendung im ganzen Text. In der Mehrzahl der F”lle tritt ªfingere´ f¸r das Tun der Dichter ein. Simulation hat also nicht nur traditionell einen abwertenden Beiklang, sondern spielt zun”chst auch nur eine nebens”chliche Rolle. Beides ”ndert sich grundlegend erst in j¸ngster Vergangenheit. Bezeichnend daf¸r ist ein wortgeschichtliches Ereignis aus der Fr¸hzeit elektronischer Rechenanlagen. Als Alan Turing den in der Folge nach ihm benannten Test zur Beantwortung der Frage ªCan machines think?´ entwarf, f¸hrte er daf¸r die Bezeichnung ªimitation game´ ein. Sechs Jahre sp”ter, im Vorwort zu den Automata Studies (Princeton 1956), die nicht minder paradigmatisch waren als Turings Diskussionsbeitrag, formulierte Claude Shannon bereits die anders lautende Frage: ªCan we design a machine which will simulate a brain?´ In dieser Wortverwendung zeichnet sich die heute dominierende, aktuelle Begriffsbewegung ab: Simulation tritt erstens an die Stelle von Abbildung, Nachahmung, Imitation, um die Semantik dieser Begriffe aber nicht nur in Teilen zu beerben, sondern zweitens abzul–sen im Namen jenes verselbst”ndigten ªdroit des simulacres´, wie es eingangs bereits umrissen wurde: ªLe simulacre n'est pas une copie dÈgradÈe, c'est une puissance positive qui nie et l'originial et la copie, et le modËle et la reproduction.´

Der kurrenten Wortbedeutung gem”þ - und darum kein Zufall - ist dabei auch der Umstand, daþ diese Umbesetzung in technologisch-medial gepr”gten Zusammenh”ngen stattfindet, hier genauerhin im Kontext der sich herausbildenden Disziplin der K¸nstlichen Intelligenz. Deren Betitelung ist ihrerseits das Ergebnis einer terminologischen Streitfrage, die in die skizzierte Umwertung des Begriffs der Simulation involviert war. Schon die Automata Studies sollten nach dem Willen ihres Mitherausgebers John McCarthy dem Titel unterstellt sein, dem dann jedoch erst das dadurch gleichzeitig zu Parallelaktion und Konkurrenzunternehmen geratende Dartmouth Summer Research Project on Artficial Intelligence im Sommer desselben Jahres zur Durchsetzung verhelfen konnte. Dabei war auch unter den Beteiligten an diesem Projekt die Bezeichnung nicht unumstritten. Das Attribut ªk¸nstlich´ hatte zu sehr den Beigeschmack des ªUnechten´; ªes klingt, als w”re alles k¸nstlich und ¸berhaupt nichts Reales an dieser Arbeit´ - oder, wie Herbert A. Simon notierte: ªMein W–rterbuch definiert 'k¸nstlich' als: 'Eher durch Kunst als durch Natur hervorgebracht; nicht authentisch oder nat¸rlich; gestellt; nicht das Wesen einer Sache betreffend'. Als Synonyme nennt es: affektiert, nachgemacht, fabriziert, vorget”uscht, unecht, simuliert [...].´ Und tats”chlich gab es die entsprechende Alternative, statt von ªartificial intelligence´ von einer ªsimulation of cognitive processes´ zu reden - bei nicht umsonst ann”hernd gleichen ªterminologische[n] Schwierigkeiten, da das W–rterbuch 'simulieren' definiert als: 'vorgeben, oder die bloþe Erscheinung oder Form von Etwas haben, nicht aber seine wahre Natur; imitieren; nachmachen; vort”uschen'.´

Bis an diese historische Schwelle also reicht das ªmotif platonicien´, die Abwertung der Simulation. Aber gerade hier auch vollzieht sich die Umwertung. Die Wissenschaften vom K¸nstlichen, wie Herbert A. Simon sie mit seinem gleichnamigen Standardwerk in ausdr¸cklicher Ankn¸pfung an den ªBegriff 'artficial intelligence'´ als der siegreichen und darum Kontext bestimmenden Bezeichnung konzipierte, um im Gegenzug aus diesem Kontext heraus den Begriff der Simulation - neu - zu bestimmen: diese Konzipierung, diese Neubestimmung geht in zwei Schritten vor, an denen sich o.g. Stufenfolge der aktuellen Begriffsbewegung best”tigt. ªGenerell´, so lautet die Ausgangsdefinition, ªnennen wir heute die Imitation 'Simulation', und wir versuchen, imitierte Systeme durch Austesten der Simulation in einer Anzahl simulierter, oder imitierter, Umgebungen zu verstehen.´ Simulation, soweit, ist in der Sache eine ªNachbildung im kleinen´ und, was das Wort angeht, lediglich eine Umbenennung. Im weiteren jedoch wird Simulation als abstraktiver Vorgang beschrieben, als Herstellung einer ªŸhnlichkeit im Systemverhalten ohne Identit”t der inneren Systeme´ (von Vorbild einerseits, Abbild andererseits), und als paradigmatisches Medium hierf¸r wird der ªdigitale Computer´ genannt. Dieser erh”lt seinen besonderen Stellenwert als Maschine, die ¸ber Symbolsystemen operiert, welche Symbolsysteme wiederum den eigentlichen Zielpunkt der Simulationsbestimmung durch und nach Simon darstellen: Simulation auf diesem Stand ist nahezu gleichbedeutend geworden - realiter: mit ªComputersimulation´; prinzipiell: mit ªProzesse[n], die Symbole erzeugen, ver”ndern, kopieren und zerst–ren´.

Es ist diese Herausbildung einer eigenm”chtigen Ordnung der Codes, auf der die Forcierung des Begriffs der Simulation beruht, wie sie in der die Technologieentwicklung begleitenden und namentlich dann durch Baudrillard zugespitzten Theoriedebatte erfolgte (s.u. Kap. . ). Seitdem wird Simulation nicht mehr nur als defizienter Abbildungsmodus begriffen, sondern als ihrer- seits eigenst”ndige Kategorie zur Bezeichnung der mit der Ausbreitung technischer Medien ¸berhandnehmenden Macht verselbst”ndigter Zeichenprozesse. Deren Dereferentialisierung, ihre Immaterialit”t und der damit einhergehende Realit”tsentzug - als Entzug der Differenz von Realit”t und Fiktion - sind dabei zu ebenso zentralen Topoi geworden, wie sich die Debatte vorwiegend auf die Erscheinungsweise der solchermaþen virtualisierten als in neuer Weise visualisierte Realit”t konzentriert. Simulation in der kurrenten Wortverwendung bezieht sich vorab auf eine Konjunktur der Bilder, und es ist wiederum diese Zuspitzung auf Die Bilderfrage vor dem Hintergrund einer durch das Vordringen der technischen Medien bedingten ªglobalen Ÿsthetisierung und Simulation´ die die letztere im selben Maþ zu einem Grundbegriff heutiger Ÿsthetik aufsteigen lieþ, in dem jeder konventionelle Begriff von Ÿsthetik als Kunsttheorie daf¸r aufgesprengt werden muþ: ªGelungene Simulation macht vom Bild freilich einen strikt ikonoklastischen Gebrauch. Eine durchg”ngig ”sthetisierte Welt w”re auch v–llig kunstlos.´

2.2 Ein Kommentar von Herbert A. Simon

[...]

2.3 Geschichte als Bruch: Simulation vs. Mimesis

Es gibt also zun”chst die lange Geschichte der Simulation als T”uschung und Trug durch Nachahmung oder Abbildung nach Maþgabe gr–þtm–glicher Ÿhnlichkeit: Geschichte des Simulakrums als Trugbild. So hat Ovid das Grundmodell der Spiegelung - den Mythos des Narziþ - mit diesem Wort bedacht: ªcredule, quid frustra simulacra fugacia captas?´ Und so hat noch Norbert Wiener in seiner Programmschrift zum Anbruch des kybernetischen Zeitalters das von alters her bestehende Bem¸hen um technisch (im griechischen, Technik ebenso wie ªHandwerk und Kunst´ umfassenden Wortsinn von tÈchne) erzeugte Ebenbildlichkeit umrissen: ªAt every stage of technique since Daedalus or Hero of Alexandria, the ability of the artificer to produce a working simulacrum of a living organism has always intrigued people.´

Gegen diesen alten Begriff der Simulation steht - mit einer ganz jungen Geschichte erst - der neue Begriff der Simulation als ªGenerierung eines Realen ohne Ursprung oder Realit”t´. In ihm kondensiert ªdie reale Bedeutung der Simulation´, wie sie in der ªgesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen - und ”sthetischen - Entwicklung´ seit der Erfindung und Ausbreitung digitaler Medien ªimmer deutlicher zutage tritt´: ªHeutzutage imitiert die Simulation nicht mehr, sie kreiert vielmehr selbst ihre Wirklichkeit.´

Wie jung dieses neue Verst”ndnis ist, zeigt sich u.a. daran, daþ der ¸berlieferte Begriffszusammenhang nicht nur heranreicht - wie die Beispiele Norbert Wieners und Alan Turings belegen - an den Beginn des Computerzeitalters, sondern dar¸ber hinaus noch in die j¸ngste Simulationsdebatte hineinragt. Zumal in Reaktion auf Baudrillard wurde ein Zugewinn an Realit”tserfahrung anstelle des Realit”tsverlusts durch Simulation behauptet; wurde betont, daþ Simulation zwar mit dem Paradigma der Reproduktion vorgegebener Wirklichkeit breche, aber nur um sich im Gegenzug der ªconditions de sa production´ zu bem”chtigen; wurde schlieþlich sogar das Moment der Dereferentialisierung wieder infrage gestellt. Und wie auf diese Weise immer wieder noch Versuche zu beobachten sind, Simulation im allgemeinen auf Mimesis hin zu reformulieren, gibt es eine entsprechende Tendenz auch mit Bezug auf einzelne Erscheinungsweisen der Simulation im besonderen.

Eines der popul”rsten Beispiele hierf¸r - Beispiel zudem f¸r die auch im engeren Sinn ”sthetische Problematik der Computerkunst - sind die Computergraphiken fraktaler Gebilde, meist kurz ªFraktale´ genannt. Diese liefern einen Fall par excellence von Serien von Serien ohne Original. Dieser Stand der Dinge war indessen schon seit den fr¸hsten Synthesen von Algorithmus und Kunst, also mit den Arbeiten eines Herbert W. Franke, Frieder Nake oder Georg Nees ab etwa Mitte der 60er Jahre erreicht. Die Besonderheit der Fraktale besteht dagegen eben in ihrer alsbald wiederentdeckten mimetischen Beziehbarkeit auf Realit”t im Sinne - tats”chlich - einer Nachahmung der Natur. Hervorgegangen aus mathematischen Neuerungen um die Jahrhundertwende, die einen ªweit ¸ber die einfachen, in der Natur sichtbaren Strukturen´ hinausgehenden Abstraktionsgrad erreichten, scheint sich an den Fraktalen zu erweisen, daþ die ªgleichen pathologischen Strukturen, die die Mathematiker erfanden, um sich vom Naturalismus des neunzehnten Jahrhunderts zu l–sen, [...] vertrauten, uns umgebenden Objekten innewohnen´. Die Technik fraktaler Bildgenerierung wird verwendet, um realistische Computersimulationen von B”umen, Wellen, Meeresk¸sten etc. zu erzeugen - ausgerechnet LÈvi-Strauss (einstiger Wortf¸hrer eines Strukturalismus, der f¸r die theoretische Neufassung des Simulationsbegriffs nicht unerheblich war - s.u. . ) hat zuletzt noch einmal auf diesen Aspekt der ªTheorie der Fraktale´ hingewiesen.

Aber die M–glichkeit und Notwendigkeit einer solchen R¸ck¸bersetzung best”tigt nur die neue ªŸra der Simulation´. Zum einen erreicht damit erst die Indifferenz von Realit”t und Fiktion jenen Grad der Vervollkommnung, der - von der Sache her - als Grundmerkmal von Simulation zur Debatte steht. Zum anderen, was den Begriff angeht, vollendet sich (nicht retardiert) darin dessen Umcodierung, weil anders eben gar nicht erst r¸ck¸bersetzt werden m¸þte. Gerade am Fortbestand der Mimesis-Theorie ¸ber die Entstehung des neuen Simulationbegriffs hinaus erweist sich dessen oppositorische Kontur: ªSimulation statt Mimesis´.

Denn neben der Recodierungsanstrengung gibt es sogar die einfache Weiterverwendung des Wortes im herk–mmlichen Sinn. Bis heute finden sich allenthalben Formulierungen wie die, um ein so beliebiges wie tats”chlich vom Zufall des heutigen Schalttags diktiertes Beispiel zu nennen, von den ªVersuche[n]´ eines Piranesi, ªauch zeichnerische Effekte in der Druckgraphik zu simulieren´ (also sie nachahmend vorzut”uschen). Ja, solche Formulierungen finden sich immer h”ufiger, nicht etwa seltener als vormals - so entspricht es der Konjunktur der Vokabel. Nur steht eben diese Konjunktur wiederum in direkter Abh”ngigkeit von der Neufassung des Begriffs. Daþ Simulation ¸berhaupt als f¸r sich zu verhandelnde Kategorie eine Rolle spielt, resultiert allein aus deren Verselbst”ndigung gegen¸ber dem mimetisch codierten Traditionszusammenhang.

Diese Herausl–sung ist das begriffsgeschichtliche Ereignis, dessen Bruchlinien nachzuzeichnen sind. Simulation tritt auf als Ankn¸pfung an und Ersetzung von Imitation, und erreicht doch sehr anderes als nur das, n”mlich eine Unterminierung der Mimesis. In vielem hat es heute den Anschein, als gelangte im Begriff der Simulation lediglich die alte Mimesis-Konzeption auf ihre j¸ngste Stufe. Begreift man die gegebene Herrschaft der Simulation dagegen als historischen Bruch, –ffnet sich der Blick f¸r den Effekt einer merkw¸rdigen Verkehrung: Einstmals eingebettet in den Kontext der Mimesis, figuriert der Begriff der Simulation inzwischen genau umgekehrt, indem gerade die j¸ngsten Versuche einer Neubestimmung des Mimetischen [etwa seit Benjamin - dann Adorno, Barthes etc.] als determiniert von Simulation sich erweisen.

3. Mimetische Traditionsstr”nge

3.1. Das semantische Feld in mimetischer Codierung

Das Konzept der Mimesis, wie es nach Platon f¸r die Kunsttheorie bestimmend wurde, blieb in dieser Weise bestimmend bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Aristoteles, wie man weiþ, wendete die platonisch-abwertende Konstellation ins Positive - ohne sie dabei als Grundkonstellation wesentlich zu ver”ndern; ihre erneute ªKanonisierung´ in der Renaissance sicherte ihr die Vorherrschaft - bis zum Auftreten eines CÈzanne, was die bildenden K¸nste betrifft, bis in Realismus und Naturalismus, was die Literatur angeht, und bis zu Nietzsche, soweit es die Philosophie betrifft. Dabei hat die normative Erm”chtigung des Mimetischen durch Aristoteles den Begriff der Simulation nicht etwa seinerseits schon mit ins Positive verkehrt, sondern nur um so tiefer darin eingesenkt. Ÿhnlich finden sich zwar bereits im Vorfeld wie im Gefolge der Renaissance, also schon innerhalb der Mimesis-Theorie immer wieder Ans”tze zu deren Infragestellung, Tendenzen zur Aufl–sung der Nachahmungsrelation, aber auch und gerade diese Gegentradition der Vorbehalte gegen einen mimetischen Wirklichkeitsbezug gehorcht damit der Frage nach dem Verh”ltnis von Realit”t und Fiktion in ihrer notwendigen Differenz - nicht ihrer Indifferenz, wie sie mit der aktuell-emphatischen Rede von Simulation zur Debatte steht - und geh–rt so eben doch ihrerseits noch in die Tradition der Mimesis.

Diese, wenn man so will, lange 'Vorgeschichte' bringt es mit sich, daþ nahezu das gesamte semantische Feld des Begriffs der Mimesis heute unter dem Stichwort der Simulation mitaufgerufen wird: Ÿhnlichkeit, Fiktion, Illusion, Imagination, Imitation, L¸ge, Schein, T”uschung - allein schon aufgrund der lateinischen Wortherkunft (similis: ”hnlich, simulatio: T”uschung, Verstellung) konnotiert der Terminus auch in seinem gegenw”rtigen Gebrauch all diese Aspekte. Umgekehrt gilt dieser Zusammenhang jedoch keineswegs. Innerhalb der Mimesis-Theorie wurde nicht auch schon Simulation mitdiskutiert. Bis zu ihrer zuerst technologischen, dann auch theoretischen Apotheose in der zweiten H”lfte des 20. Jahrhunderts (s.o. 2.1), war Simulation keine eigenst”ndig er–rterte Kategorie.

Die einzige Ausnahme hiervon stellt das Begriffspaar der simulatio und dissimulatio dar. Deren Kontext - in seinen Grundz¸gen vor allem rhetorisch und medizinisch, juristisch und theologisch verfaþt - ist allerdings als wort- und begriffsgeschichtlich selbst”ndiger Diskussionsstrang zu konstatieren. Doch handelt es sich im Maþ seiner Isolierbarkeit zugleich um einen sehr speziellen Begriffszusammenhang. So gebraucht etwa, wie ausdr¸cklich angemerkt wird, ªdie Rechtssprache das Wort nur in einigen typischen F”llen: 1. f¸r die Verdeckung des Willens bei einer Willensbildung, 2. f¸r die Vorspiegelung von Krankheit, 3. f¸r die Vorspiegelung eines besonderen Motivs.´ Es ist, mit einem Wort, der traditionellen Semantik aufruhend wie diese pr”gend, der Zusammenhang von Simulation und Dissimulation als Verstellung, wie sie als ªVerhalten des Redenden´ zu seinem ªAussage-Inhalte´ in hellenistischer Zeit (Stoa) logisch entwickelt und im klassischen Latein auf feststehende Vokabeln gebracht wurde. Logisch handelt es sich um eine wechselseitige Vertauschung von Affirmation und Negation, so daþ zu ª1. affirmo id quod est und 2. nego id quod non est, noch die Kombinationen: 3. affirmo id quod non est und 4. nego id quod est hinzutreten´. Diese beiden letzten Kombinationen ªwerden im Latinischen als Verhalten speziell begrifflich bezeichnet durch die Verba simulo 'ich simuliere' (etwas nicht Vorhandenes) und dissimulo 'ich verhehle' (etwas Vorhandenes)´.

3.2. Verstellungskunst

Wieder kann man die Geschichte zur¸ckverfolgen bis zu Platon. Dieselbe Schrift ¸ber den Staat, die mit dem siebten und zehnten Buch die Abwertung des Simulakrums inszeniert, beschreibt - im dritten Buch - den Vorgang der homerischen Darstellungskunst als Nachahmung durch Verstellung: ªErz”hlung nun ist doch beides, wenn er Reden vortr”gt und wenn das zwischen den Reden. [...] Aber wenn er irgendeine Rede vortr”gt, als w”re er ein anderer: m¸ssen wir nicht sagen, daþ er dann seinen Vortrag jedesmal so sehr als m–glich dem nachbildet, von dem er vorher ank¸ndigt, daþ er reden werde? [... Und] sich selbst einem anderen nachbilden in Stimme oder Geb”rde das heiþt doch den darstellen, dem man sich nachbildet? [...] In einem solchen Falle also, scheint es, vollbringen dieser und andere Dichter ihre Erz”hlung durch Darstellung.´

Wieder, heiþt das, trifft man vorab auf einen lange Zeit sich durchhaltenden Topos - der Poet, formuliert beispielsweise dann das 17. Jahrhundert, ªverstellet sich gleichsam in die jenigen/ welche er vorstellet´ -, und wieder l”þt sich f¸r die Dauer dieser Topik bezeichnenderweise ihr Endpunkt bei Nietzsche festhalten. Ersichtlich gilt die f¸r die Dichtung im allgemeinen getroffene Charakterisierung zumal f¸r die Schauspielkunst im besonderen. Vom Probleme des Schauspielers heiþt denn auch die Zwischen¸berschrift, unter der Nietzsche ªdie Lust an der Verstellung als Macht´ thematisiert, um sie in ihrer ganzen Spannbreite durchsichtig werden zu lassen. Dazu geh–rt die R¸ck¸bersetzung: ªdenn der Literat ist wesentlich Schauspieler´; dazu geh–rt die systematische Ausdehnung der Frage: ªAlles das ist vielleicht nicht nur der Schauspieler an sich?´ Und dazu geh–rt die historische Tiefenbestimmung (wenn anders die Rede in der ersten Person bei Nietzsche nie bloþ individuell biographisch, sondern eben genealogisch als auf ªdas historische Beginnen´ gerichtet, zu lesen ist): ªDas Problem des Schauspielers hat mich am l”ngsten beunruhigt [...].´

Es sei n”mlich das Verm–gen, ªjeder Rolle gewachsen zu sein, [...] wo alle Natur aufh–rt und Kunst wird´ - daher die Dring- lichkeit und Allgemeinheit des Problems; und es seien - dies noch einmal zum Alter - bereits die Griechen ªin diesen Rollen-Glauben [...] eingetreten´ und derart ªwirklich Schauspieler´ geworden. So kann man in der Tat schon in Quintilians Institutio oratoriae den Hinweis finden auf eine ªden Fr¸heren so gel”ufige Verstellung (simulatio), um die Redekunst zu verbergen´ (IV 1,9), was erstens die Notwendigkeit des R¸ckblicks bis in die Antike best”tigt und zweitens die ”lteste Traditionslinie der Wortverwendung indiziert: die Rhetorik. In ihr fungieren Simulation und Dissimulation als fester Bestandteil der Rede sowohl auf deren strategischer Ebene der T”uschungsman–ver (II 13,4 u.–.) als auch auf der taktischen Ebene ihrer Tropen und Figuren, besonders der Ironie. F¸r sie stellen Simulation und Dissimulation nicht weniger als deren ªGrundstruktur´ dar (IX 2, 44ff.).

ªMan heuchelt etwas vor [simuliert], das nicht ist; man verhehlt [dissimuliert] etwas, das ist´, schreibt Torquatto Accetto in seinem Traktat ¸ber die Dissimulazione onesta, 1641, und wiederholt damit die Definition der Quaestiones medico-legales von Paolo Zacchia, 1628, die wiederum nur wiederholen, was schon Cardano repetiert hat: ªGeheuchelt (simuliert) wird, was nicht ist, als w”re es, oder anders als es ist; verhehlt (dissimuliert) wird aber, was ist, als ob es nicht w”re, oder anders als es ist, so sagt Cardano in Proxenata oder De prudentia civili in Kapitel 53.´

So etablierte sich, um damit auf Nietzsche zur¸ckzukommen, die ªVerstellung als Pflicht´ - ebenso wie in diesem und zun”chst nur in diesem Rahmen auch im Deutschen die Fremdw–rter simulieren, Simulierung und Simulierer bzw. Simulant gebr”uchlich wurden: ªwiewol er weidlich simuliren, und hinter dem berge halten kan´, zitiert das Grimmsche W–rterbuch Luthers Tischreden; ªer war viel zu redlich, –ffentlich zu dissimulieren, was er im stillen sich eingestand´, w”re ein kaum weniger prominenter, sp”terer Beleg, und die Reihe lieþe sich fortsetzen - bis hin zu Nietzsche, wie gesagt, bleibt dieser Begriffszusammenhang weitgehend konstant. Ab dann allerdings artikuliert sich eine Ver”nderung - bei Nietzsche selbst einmal mehr als strikte Umkehrung formuliert, die durchaus ihrerseits die Tradition hinter sich hat, nun aber in traditionsbrechender Weise zugespitzt wird. Natur ger”t zur Kunst, lautet die eine Seite. Umgekehrt die andere: ªAus der dauernden Ðbung einer Verstellung entsteht zuletzt Natur: die Verstellung hebt sich am Ende selber auf, und Organe und Instincte sind die kaum erwarteten Fr¸chte im Garten der Heuchelei.´

3.3. Die Simulation des Simulanten

Noch im selben Jahrzehnt wie Nietzsches Morgenr–the (1881) und Fr–hliche Wissenschaft (1882) erscheint The Decay of Lying. A dialogue (1889) von Oscar Wilde, den Simons Sciences of the Artificial nicht umsonst mit der Bemerkung paraphrasieren, ªes habe keinen Nebel auf der Themse gegeben, bevor Turner ihn, indem er ihn malte, den Einwohnern Londons offenbarte´. Das Leben imitiere die Kunst, nicht umgekehrt, so verlangt es der radikalisierte Ÿsthetizismus. Daþ ªImagination [...] allein die realen Dinge schafft´, war sodann Programm auch des Surrealismus: ªDissimulons´! 1930, fast genau vierzig Jahre nach Wildes Essay und gleichzeitig mit dem Second Manifeste du surrealisme, erschien L' ImmaculÈe Conception von AndrÈ Breton und Paul Eluard. Die darin enthaltenen Essais de simulation markieren den Endpunkt einer konzeptuell entscheidenden Transformation.

Wie schon f¸r das erste surrealistische Manifest ªder Wahn- sinn, 'der Wahnsinn, den man einsperrt', wie man so trefflich gesagt hat´, maþgeblicher Ausgangspunkt war, geht es auch bei den Simulationsversuchen um ªKrankheiten, die man einsperrt´: Debilit”t, Manie, Paranoia, Schizophrenie, Paralyse. Diese f¸nf Formen des Wahnsinns bilden das (im Doppelsinn des frz. Wortes) sujet f¸r je einen Essai. Simulation heiþt damit auch hier zun”chst noch einmal so viel wie Verstellung; es ist die im medizinischen Diskurs gel”ufige - und in dieser Bedeutung langlebigste - Anverwandlung des Begriffs im Sinne einer ªbewuþte[n] Vort”uschung von Krankheit´. Gerade der Vorbehalt, den Breton und Eluard gegen diese Bedeutung formulieren, bringt sie als generellen Hintergrund ins Spiel: ªDa der Begriff der Simulation in der Medizin der Geisteskrankheit fast nur im Kriege gebraucht wird und sonst dem der 'Ðbersimulation' [sursimulation] Platz macht, sind wir gespannt zu erfahren, auf welche Krankheitsbezeichnung als Basis f¸r unser Experiment die sachverst”ndigen Schiedsrichter sich einigen werden.´

So wird der alte Bedeutungshintergrund von ªSimulirer´ / ªSimulant´ zur¸ckgewiesen und damit erst g”nzlich herbeizitiert. Dennoch hat der herausgeforderte Neuentscheid ¸ber eine zutreffende Benennung der vorgef¸hrten Versuche seine Berechtigung - und indiziert damit, insofern kein neuer Terminus eingef¸hrt wird, dessen Verwandlung in sich. Es sollen n”mlich die Essais de simulation tats”chlich nicht einfach im Man–ver der T”uschung sich ersch–pfen. Im Gegenteil:

ªDie Autoren machen sich ein Gewissen daraus, sich f¸r die absolute Redlichkeit ihres Unterfangens zu verb¸rgen. Es besteht f¸r sie darin, den Spezialisten sowohl wie den Laien die f¸nf folgenden Texte [eben die Essais] zu unterbreiten, die bereits durch die kleinstm–gliche Anleihe bei klinischen Texten oder durch die mehr oder minder geschickte Nachahmung [pastiche] solcher Texte offensichtlich jede Daseinsberechtigung verlieren, jede Bedeutsamkeit einb¸þen w¸rden.´

So lautet der erste Absatz der programmatischen Vorbemerkung - programmatisch auch darin, daþ ihre Schluþpointe auf nicht weniger als eine ªpoÈtique moderne´ abzielt, eine moderne Poetik und Poesie, die das ¸berkommene Regime der ªaltersschwache[n] Dichtungsarten mit Vorteil ersetzen w¸rde´. Der ªpoetisch ausgerichtete Geist´ ist es denn auch, der n”herhin als Subjekt wie Objekt der Versuche fungiert. Sie sollen ªbeweisen´, heiþt es weiter: ªdaþ der poetisch ausgerichtete Geist beim normalen Menschen durchaus in der Lage ist, die widersinnigsten, die ¸berspanntesten sprachlichen Ÿuþerungen in ihren wesentlichen Z¸gen zu reproduzieren, ja daþ dieser Geist es vermag, sich nach Belieben die haupts”chlichen Wahnvorstellungen zu eigen zu machen, ohne daþ es sich f¸r ihn um eine dauerhafte St–rung handelte, und ohne daþ seine F”higkeit zu geistigem Gleichgewicht den geringsten Schaden n”hme.´

Nicht genug damit also, daþ die verschiedenen Formen des Wahnsinns hier via Simulation reproduzierbar heiþen, sollen sie dar¸ber hinaus auch in jenem zweiten Sinn f¸r echt gelten, daþ sie tats”chlich mit der entsprechenden mentalen Verfassung einhergehen. An die Stelle der Nachahmung tritt so die Behauptung manipulativer Verf¸gbarkeit. Nach Belieben, ªý volontÈ´, lautet der bezeichnende Hinweis, der im folgenden Satz ebenso sein Echo findet (ªmit einiger Ðbung´), wie dessen Erg”nzung den zuvor erhobenen Anspruch zu relativieren scheint, ihn aber dadurch erst vollends auf die Spitze treibt. Im ¸brigen, wird n”mlich angef¸gt, gehe es nicht darum, die M–glichkeit der ªfaux Ètats mentaux´ oder genauerhin den ªvoll- kommenen Anschein´ ihrer ªEchtheit´ zu pr”judizieren; ªwichtig ist vielmehr, es als denkbar hinzustellen [faire penser], daþ sie mit einiger Ðbung zu scheinbar vollkommener Echtheit gebracht werden k–nnten´.

Auf den Anspruch ªabsolute[r] Redlichkeit´ folgt somit zuerst die ihn st¸tzende Erkl”rung, die gew¸nschten Geisteszust”nde willk¸rlich handhaben zu k–nnen, wie als Zielpunkt dieser Willk¸rlichkeit nun die Denkbarkeit ªscheinbar vollkom- mener Echtheit´ - ªvraisemblance parfaite´ - zutage tritt. Die Ambition auf Wahrheit terminiert in vollendeter Scheinhaftigkeit. Und es ist diese Terminierung, mit der, was diesen Versuchen Simulation heiþt, in jeder Hinsicht neu dasteht.

Denn in der Tat verst”rken sich Redlichkeitsversicherung und Manipulativit”tsbehauptung nicht nur hinsichtlich ihres Wahrheitsanspruchs, sondern genauso mit Blick auf ihr Gelogensein. So kann man einerseits auf die Gemeinsamkeiten der von Breton und Eluard dargestellten Wahnideen mit dem ªauthentischen Fall´ eines Daniel Paul Schreber und seiner Denkw¸r- digkeiten eines Nervenkranken (1903) verweisen. Andererseits l”þt sich gerade f¸r diese der Nachweis f¸hren, daþ sie aus weit gr–þeren als nur ªkleinstm–gliche[n] Anleihe[n] bei klinischen Texten´, daþ sie in erheblichem Maþ aus medizinischen Zitaten bestehen, und wie sie sind auch die Essais de simulation - gegen alle Beteuerung - durchaus ªpastiche´. Dennoch resultiert daraus nicht einfach ein Widerspruch zwischen Anspruch und Realit”t. Deren Ðbereinstimmung ist vielmehr auf eine andere Ebene ger¸ckt. Nur zu leicht kann - und soll - die selbst ausgestellte Echtheitsgarantie als falsch, um nicht F”lschung zu sagen, durchschaut werden. Forciert genug wird als Ziel des ganzen Unternehmens der Schein der Echtheit expliziert. So daþ als die Wahrheit oder Eigenrealit”t der Essais dann gerade das manipulatorische Moment hervortritt: manipulative Verf¸gbarkeit nicht der ªWahnvorstellungen´ als ªGeisteszust”nde´, sondern als Zitate, Daten, Codes - als Simulationen ihrer Simulation.

Schlieþlich erh”lt von daher auch die bereits erw”hnte Schluþpointe erst ihre ganze Entschiedenheit. Daþ der ªessai de simulation´ - wie Breton und Eluard mit Anf¸hrungszeichen und im Singular schreiben, um ihn als selbst”ndiges Genre zu markieren - nicht nur als solchermaþen ausgerufene eigene Gattung den ¸berkommenen ªDichtungsarten [genres]´ zur Seite treten, sondern sie ªmit Vorteil ersetzen´ k–nnte, erweist sich nun als technologisch begr¸ndet. Simulationsversuch und bisherige Dichtung unterscheiden sich nicht darin, daþ, sondern wie sie l¸gen. Ihre jeweilige Verfahrensweise spielt auf g”nzlich verschiedenem Niveau. Dichtung in ihrem traditionellen Leistungsverm–gen ahmt nach, fingiert. Die Essais in ihrem Zitatismus dagegen operieren an der Grenze zur Simulation gem”þ ihrer von da an m–glichen neuen Definition: Simulation ªhebt das Reale ab von seinem Prinzip bis zu dem Punkt [...], wo die Kopie aufh–rt, Kopie zu sein, um das Reale und sein Artefakt zu werden.´

Erstmals zeichnen sich Fiktion und Simulation so in einer Gegens”tzlichkeit ab, die daraus resultiert, daþ Simulation umgekehrt den Gegensatz von Fiktion und Realit”t kassiert. Simulation h–rt auf, mit Fiktion mehr oder weniger ”quivalent zu sein, um sich statt dessen in ihrer Eigenrealit”t zu etablieren. Wenn sp”ter diese Eigenrealit”t, diese Entkoppelung von Simulation und Fiktion zum Hauptaugenmerk ger”t (obwohl oder weil weiterhin auch und gerade fiktionale Wirklichkeiten via Simulation generiert werden), dient nicht umsonst das Beispiel des Simulanten als exemplarischer Fall: ªDissimulieren heiþt fingieren, etwas, das man hat, nicht zu haben. Simulieren heiþt fingieren, etwas zu haben, was man nicht hat. Das eine verweist auf eine Pr”senz, das andere auf eine Absenz. Doch die Sache ist noch komplizierter, denn simulieren ist nicht gleich fingieren: 'Jemand, der eine Krankheit fingiert, kann sich einfach ins Bett legen und den Anschein erwecken, er sei krank. Jemand, der eine Krankheit simuliert, erzeugt an sich einige Symptome dieser Krankheit' (So das W–rterbuch von LittrÈ[]). Beim Fingieren oder Dissimulieren wird also das Realit”tsprinzip nicht angetastet: die Differenz ist stets klar, sie erh”lt lediglich eine Maske. Dagegen stellt die Simulation die Differenz zwischen 'Wahrem' und 'Falschem', 'Realem' und 'Imagin”rem' immer wieder in Frage.´

3.4 Bruchlinien

Der Simulant ist das zentrale Sujet auch eines Aufsatzes unter der ausdr¸cklichen Ðberschrift einer Ÿsthetik der Simulation - erste und einzige Quelle dieses Titels [?], erschienen 1949 in der Revue d'esthËtique. Die - psychiatrische - Kategorie der ªsursimulation´ (f¸r die Verbindung von bewuþter und unbewuþter Simulation) kehrt darin ebenso wieder, wie der Text noch einmal zur¸ckgreift auf die lange Tradition von simulatio und dissimulatio nebst ihrem vorzugsweise moralistischen Kontext: ªLa simulation est le propre de l'homme, 'nÈ menteur' disait La BruyËre.´ Und tats”chlich gehorchen die durch dieses Spannungsfeld induzierten Ðberlegungen einmal mehr dem alten Begriff und seinem ªdouble sens de 'copie' et de 'tromperie'´: ªLa simulation implique l'imitation dans la mesure o˜ elle copie un modËle abstrait ou concret, elle suppose le mensonge dans la mesure o˜ elle trompe intentionellement, en altÈrant la vÈritÈ. Vrai copie d'une fausse vÈritÈ, si elle imite c'est pour mieux feindre, et par un ensemble de moyens trËs concrets. En somme, la simulation est un mensonge matÈrialisÈ par imitation.´

Unter dieser Grunddefinition f”chert Deshaies dann auf in verschiedene Spielarten der Simulation (ªSimulation animale´ einerseits, Simulation als ªpropre de l'homme´ andererseits, diese wiederum unterteilt in die ªSimulation banale´, ªSimulation artistique´ und ªSimulation medicale´), um ihre ”sthetische Dimension zu bestimmen, und eben mit Bezug auf diese r¸ckt nicht etwa die k¸nstlerische, sondern die ªsimulation de la maladie´ in den Mittelpunkt. Im Unterschied allerdings zur sp”teren Wiederaufnahme des Themas bei Baudrillard, geht es hier zum einen (noch) um die nicht nur durchschaubare, sondern durchschaute Simulation, weshalb zum anderen auch nicht von einer Entkoppelung, sondern von der vollkommenen Einheit von Simulation und Fiktion die Rede ist. ªLe simulateur feint sciemment d'avoir une maladie, sans Ítre du tout malade, par une franche simulation, si l'on ose dire´, heiþt es ad eins; und ad zwei: ªLa beautÈ de la simulation tient dans l' Èquilibre instable rÈalisÈ entre le rÈel da la fiction et la fiction du rÈel.´

Fiktion und Wirklichkeit, Imitation und T”uschung - der aufgerufene Begriffszusammenhang scheint auf den ersten Blick deutlich genug. Nichtsdestoweniger findet sich in Deshaies' Artikel bereits in den einleitenden Passagen eine ebenso kurze wie darum um so deutlichere Absage an die ªvieille thÈorie´ der Mimesis, die zwar ªle principe de tous les arts d'aprËs Aristote´ gewesen sei, aber dem ªvÈritable oeuvre d'art´ doch in keiner Weise gerecht werde. Dieses gehorche vielmehr dem Baconschen Grundsatz des homo additus naturae, und so basiere auch die Ÿsthetik der Simulation nicht einfach auf der Spiegelbildlichkeit von vorget”uschter und echter Krankheit, sondern auf dem hinzukommenden dritten Pol dessen, der das Spiegelverh”ltnis wahrnimmt: des ªobservateur privilÈgiÈ´ - privilegiert deshalb, weil, wie gesagt, den T”uschungszusam- menhang durchschauend. Simulation, mit anderen Worten, realisiert sich nach Deshaies in einer ªsituation triangulaire´, und es nicht der Simulant, es ist der ihn erkennende Arzt, der f¸r die ”sthetische Dimension des ganzen verantwortlich zeichnet: ªSi le mÈdecin ne crÈe pas la simulation, il la valide, il la valorise, il en crÈe du moins la beautÈ. Elle devient son oeuvre dans la mesure o˜ elle peut Ítre oeuvre d'art.´ Un¸bersehbar bereitet sich die Ÿsthetik der Simulation so einen Boden, auf dem noch ein erheblicher Teil aktueller Positionen ruht. Das ”sthetische Moment entfaltet sich, statt einem Werk, Objekt oder Tun als solchem inh”rent zu sein, in einer Struktur; ausschlaggebender Agent in dieser Struktur ist ihr Beobachter; Schauplatz ist die Wahrnehmung.

Tats”chlich hat man erst in j¸ngster Zeit wieder versucht, den ªinzwischen zu einem modischen Stimmungs-Artikel gewordenen Begriff der Simulation´ auf genau diese Art ªzu pr”zisieren´. Simulation, als 'Mode-Wort', meint hier l”ngst den technischen Sachverhalt, ªmit Hilfe von Computern auf rein rechnerischem Wege Filme und Bilder erzeugen zu k–nnen´. Dennoch wird einmal mehr der ªUmweg einer Betrachtung des psychologischen Falles des Simulanten´ herangezogen, n”mlich um zu demonstrieren, daþ das ªVorgehen des Simulanten [...] nicht davon geleitet [sei], in seinem Verhalten die Ordnung der Erscheinung - etwa der Neurose - zu reproduzieren, sondern die Ordnung der Wahrnehmung einer Neurose zu erf¸llen´. Und so gelte allgemein: ªDie Simulation ist die Reproduktion eines Etwas nicht in der Ordnung dessen Seins, sondern in der Ordnung seiner Wahrnehmung.´ Oder, wiederum spezieller, auf das Verh”ltnis der traditionellen K¸nste zu den neuen Medien bezogen: ªEgal, ob ich einen Pelz mit Hilfe eines Pinsels und in verschiedenen Pigmenten oder mit Hilfe eines Rechners und in einer Vielzahl von Pixeln abbilde, in beiden F”llen geschieht dasselbe: Der Pelz wird nicht als dieses Ding, sondern als dieses Ereignis in der Wahrnehmung reproduziert. Der Unterschied zwischen dem errechneten, durch einen Algorithmus erzeugten Bild und dem gemalten Bild ist keiner in der Sache; in beiden F”llen wird die Welt in der Ordnung ihrer Wahrnehmung zum Gegenstand gemacht.´

Nicht erst, doch zumal diese an die Gegenwart der Simulation durch Computer- als Multimedia-Technologie heranreichende Ausentwicklung eines wahrnehmungstheoretischen Ansatzes macht indes zweierlei deutlich.

Zum einen kann so zwar der Begriff der Mimesis im engeren Sinn der Nachahmung vorfindlicher Wirklichkeit auf nomineller Ebene f¸r verabschiedet gelten, aber in seinen ”sthetischen Konsequenzen wirkt er doch fort: So im zuletzt zitierten Beispiel ersichtlich an der behaupteten, scheinbaren Unterschiedslosigkeit zwischen Malerei und technischer Bildgenerierung; und so bereits un¸bersehbar in Deshaies' Ÿsthetik der Simulation, wenn sie von der Grundmetapher einer ªEsthÈtique du miroir´ doch weder lassen kann noch lassen will.

Zum anderen, weil es ja aber dieses Fortbestehen einer mimetischen Codierung der Simulationsdebatte nun einmal gibt, wird klar, daþ der zugespitzt-aktuelle, aus dem Codierungszusammenhang der Mimesis herausgel–ste oder sogar ihm entgegengesetzte Begriff der Simulation keinesfalls aus dem Nacheinander seiner allm”hlichen Verwandlung(en) eruiert werden kann. Die bloþe Absage an die Kategorie der Mimesis besagt f¸r sich allein so wenig, wie sogar gilt: ªDas bloþe Umkehren, f¸r sich vollzogen, ergibt nichts´, um zu sehen, ªwie alles sich anders uns zukehrt´ - so die Formulierung bei Heidegger, dessen Ðberlegungen zum Ursprung des Kunstwerks selber zugleich den besten Beleg daf¸r liefern, indem sie ihrerseits, daþ die Kunst ªeine Nachahmung und Abschilderung des Wirklichen´ sei, f¸r eine ªgl¸cklich ¸berwundene Meinung´ erachten, um doch, was Simulation angeht, festzuhalten an deren Ðbersetzung als ªSchein´, als ªVerstellen´, das sich definiert wie gehabt: ªdas Seiende erscheint zwar, aber es gibt sich anders, als es ist´.

Die reine oder bloþe Umkehrung des Platonismus - einschlieþlich jenes Einspruchs wider die Mimesis-Kategorie, daþ Kunst ªSch–pfung, nicht Nachbildung´ sei - vollzog ja denn auch schon Oscar Wildes Apologie der L¸ge. ªDas L¸gen und das Dichten sind K¸nste - K¸nste, die, wie Plato erkannte, miteinander in Zusammenhang stehen´. So beginnt Wilde im Anschluþ an Platon. Mit diesem argumentiert er jedoch bald genug gegen ihn. Denn im weiteren erfolgt eben die Umkehrung, die um so strenger Umkehrung ist, als sie nicht etwa Baudrillards ªPr”zession der Simulakra´ vorwegnimmt, sondern lediglich die Reihenfolge der platonischen Stufenfolge verkehrt. Die Behauptung, ªdaþ das Leben die Kunst nachahmt´ und nicht ªdie Kunst das Leben´, vertauscht beider Pl”tze, ”ndert aber nichts an der Nachahmungsrelation, die beide Seiten zueinander in Beziehung setzt. Und wie wenig sich dementsprechend an der Besetzung der Rede von Simulation etwas ”ndert, wird deutlich an der Gegen¸berstellung von ªErz”hlkunst´ und ªMagie´, mit der Jorge Luis Borges 1932 auf die Frage nach dem Realismus reagiert hat.

Borges' Essay ¸ber El arte narrativa y la magia n”mlich appliziert den Terminus einer ªsimulaciÛn psicolÛgica´ ausgerechnet auf den Versuch realistischen Erz”hlens. Ausgehend davon, ªdaþ in der Romankunst das zentrale Problem die Kausalit”t ist´, unterscheidet er als die zwei M–glichkeiten, diesem Problem gerecht zu werden, das Bestreben, den Handlungsverlauf einer Geschichte auf nicht-magische Weise, psychologisch zu motivieren, einerseits und eben das Vorbild der Magie als eines ªp¸nktlich abgestimmte[n] Spiel[s] aus Beobachtungen, Widerkl”ngen und Wahlverwandtschaften´ andererseits; und er res¸miert: ªIch habe zwischen zwei Kausalvorg”ngen unterschieden: dem nat¸rlichen, der das unaufh–rliche Ergebnis unkontrollierbarer und unendlicher Wirkungsvorg”nge ist, und dem magischen, bei dem die Einzelheiten weissagen, und der klar und begrenzt ist. Im Roman h”lt sich nach meinem Daf¸rhalten die einzig m–gliche Redlichkeit an den zweiten. Bleibe der erste der psychologischen Vort”uschung ¸berlassen.´

Damit bleibt - wie noch im gleichnamigen Prosast¸ck aus der Hacedor-Textsammlung von 1960 - El simulacro gleichbedeutend mit Scheinbild wie die Simulation solcher Provenienz das Kennzeichen einer ªirrealen Epoche´ (im Unterschied zur Hyperrealit”t der Simulation nach Baudrillard). Es bleibt, heiþt das, bei der Tradition von Simulation als Fiktion, Simulakrum als Trugbild, Simulant als Verstellungsk¸nstler - ganz so, wie die derart historisch und systematisch zwischen Wilde und Borges aufgespannte Poetologie bzw. Ÿsthetik in prominenter Weise erf¸llt wurde durch Thomas Manns Figur des Hochstaplers Felix Krull.

Deshalb mag die Umwertung der Simulation - von der ontologischen Defizienz hin zur Pr”zession - untrennbar mit der Umkehrung des Platonismus verbunden sein, diese allein gen¸gt jedoch so wenig, wie Foucault nicht umsonst die Parole des Renverser le platonisme bei Deleuze als die vielf”ltigere Forderung, den Platonismus zu ªkonvertieren´, ªsubvertieren´, ªpervertieren´, paraphrasiert hat. Statt schlicht eine Opposition zu errichten, organisiert die Bruchlinie zwischen alter Begriffstradition und neuem Simulationsbegriff diametrale Umbesetzungen. So begreifen Baudrillards Ausf¸hrungen zur Pr”zession der Simulakra die Dissimulation als harmlos und nur die Simulation als in Wahrheit - weil die Frage nach dem Wahren untergrabende - intrikate Kunst. Genau kontr”r - doch eben nicht kontradiktorisch - argumentiert dagegen Torquato Accetto in seinem Traktat ¸ber die Dissimulazione onesta von 1641, nur die ªVerhehlung´ (dissimulazione) k–nne ehrenwert heiþen, w”hrend die ªHeuchelei´ (simulazione) abzulehnen und darum von ihm auch gar nicht erst weiter zu behandeln sei.

4. Der Impact der Medien

[...]

5. Theoriediskurs

5.1. Einbr¸che der Mimesis

[...]

6. Simulation und die ªelektronische Kultur´ der Gegenwart

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© bei Markus Krajewski und Harun Maye, Version 1.0, 20.10.1996.