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Dokumentenart: | Buchkapitel |
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ISBN: | 3-7815-0912-5 (Klinkhardt) |
Buchtitel: | Wörterbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik |
Verlag: | Klinkhardt |
Ort der Veröffentlichung: | Bad Heilbrunn |
Seitenbereich: | 289–290 |
Datum: | 1999 |
Institutionen: | Humanwissenschaften > Institut für Erziehungswissenschaften > Lehrstuhl für Pädagogik III (Prof. Dr. Hans Gruber) |
Dewey-Dezimal-Klassifikation: | 300 Sozialwissenschaften > 370 Erziehung, Schul- und Bildungswesen |
Status: | Veröffentlicht |
Begutachtet: | Unbekannt / Keine Angabe |
An der Universität Regensburg entstanden: | Unbekannt / Keine Angabe |
Dokumenten-ID: | 26360 |
- Lerntransfer. (Eingebracht am 17 Okt 2012 11:32) [Gegenwärtig angezeigt]
Zusammenfassung
Lerntransfer Lerntransfer als besondere Form des Transfers (-> Transferforschung) bezeichnet den Prozeß der Übertragung von Wissen bzw. Fertigkeiten, die in einer Lernsituation erworben werden, auf eine Anwendungssituation außerhalb des Schulkontextes (-> Lernen). Diese Übertragung ist keineswegs trivial: Es konnte in vielen Studien zum Lernen in Schule und Universität gezeigt werden, daß die ...
Zusammenfassung
Lerntransfer
Lerntransfer als besondere Form des Transfers (-> Transferforschung) bezeichnet den Prozeß der Übertragung von Wissen bzw. Fertigkeiten, die in einer Lernsituation erworben werden, auf eine Anwendungssituation außerhalb des Schulkontextes (-> Lernen). Diese Übertragung ist keineswegs trivial: Es konnte in vielen Studien zum Lernen in Schule und Universität gezeigt werden, daß die Lernenden "träges Wissen" erwerben, also Wissen, das zwar den schulischen bzw. universitären Anforderungen Genüge leistet (z. B. in Prüfungen erfolgreich verwendet werden kann), das aber nicht auf Problemlöseanforderungen außerhalb des Lernkontextes, also z. B. in beruflichen Situationen, transferiert werden kann. Die Forschung zum Lerntransfer befaßt sich daher mit Möglichkeiten, wie die Übertragung vom Lernkontext in einen Anwendungskontext gesichert werden kann. Mit anderen Worten: In pädagogisch-psychologischen Modellen sollen Lehr-Lern-Formen entwickelt werden, die eher auf Handlungskompetenz als auf ausschließlich akademische Kompetenz abzielen. Der wesentliche theoretische Fortschritt in der Lerntransferforschung ging von Ansätzen zum situierten Lernen aus, die eine Berücksichtigung der situativen Aspekte des Lernens fordern. Erst dadurch wird die Beachtung pragmatischer Aspekte des Lernens ermöglicht, also z. B. der Ziele und der Motivation der Lernenden oder des spezifischen situativen Kontexts. Damit wird Wissen nicht mehr als abstrakte Einheit verstanden, die unabhängig von Situationen Gültigkeit besitzt; Wissen, das in verschiedenen Situationen jeweils vom Lernenden neu konstruiert werden muß, kann dann auch nicht mehr einfach unverändert vom Lehrenden auf den Lernenden "transportiert" werden. Diese neue epistemologische Einstellung erfordert grundsätzlich neue Lehr-Lern-Formen, um das Problem des Lerntransfers zu überwinden. Die Ansätze zur situierten Kognition haben ihren Ursprung in unterschiedlichen Disziplinen, etwa in der kognitiven Anthropologie (LAVE, ROGOFF), der ökologischen Psychologie (GREENO) oder der sozial-kognitionspsychologischen Forschung (RESNICK). Alle Ansätze haben die Annahme gemeinsam, daß Kognition kein Prozeß ist, der ausschließlich im Kopf von Individuen, sondern vor allem im sozialen Austausch stattfindet. Lernen und Kompetenzerwerb können demzufolge nicht nur als individueller Fortschritt beschrieben werden, sondern beinhalten zugleich das Hineinwachsen in eine "community of practice". Damit Transfer von einer Lernsituation in die "Expertengemeinde" stattfinden kann, ist vor allem der Erwerb der in dieser Gruppe gültigen Denkweisen und Problemlösemechanismen notwendig. Der soziale Austausch mit Experten, die als Modell für die eigene Kompetenzentwicklung dienen können, wird dadurch zentral.
Dies hat natürlich instruktionale Konsequenzen, denn entsprechende Lehr-Lern Modelle müssen dieser Sichtweise Rechnung tragen. Vertreter situierten Lernens fordern vor allem, daß Lern und Anwendungssituationen einander möglichst ähnlich gestaltet werden müssen, da Wissen als stark kontextgebunden angesehen wird. Nur wenn der instruktionale und der Anwendungskontext ähnlich sind, ist mit Wissenstransfer zu rechnen. Lernen soll deshalb folgendermaßen aussehen: Lernen und Arbeiten in Gruppen, Nutzung von Hilfsmitteln, Berücksichtigen der Anwendungsbedingungen von Wissen. Wird Unterricht nach diesen Bedingungen authentisch gestaltet, resultieren Wissensbestände, die weitaus mehr dem entsprechen, was Ziel jeden Unterrichtes ist: Das erworbene Wissen kann auch außerhalb der Lernsituation verwendet und eingesetzt werden, es findet also erfolgreicher Transfer statt. Merkmale des Lernens unter einer situierten Perspektive sind also: (1) Wissen ist immer situiert; daher ist auch Lernen immer situiert. (2) Wissen wird durch das wahrnehmende Subjekt konstruiert. (3) Besonders wesentlich ist das in einer Gesellschaft geteilte Wissen; Lernen ist daher zunehmende Teilhabe an einer Expertengemeinde. (4) Situiertes Wissen sollte unter dem Anwendungsaspekt und damit unter dem Gesichtspunkt seiner Authentizität vermittelt werden. Für die Gestaltung von Lernumgebungen lassen sich daher folgende Forderungen formulieren: (1) Komplexe Ausgangsprobleme. Als Ausgangspunkt des Lernens soll ein interessantes Problem dienen, das ein "Lösen-Wollen" auslöst. Damit wird Wissen auch sogleich in einem Anwendungskontext erworben. (2) Authentizität und Situiertheit. Die Lernumgebung soll es den Lernenden ermöglichen, mit realistischen Problemen und authentischen Situationen umzugehen, indem sie einen Rahmen und Anwendungskontext für das zu erwerbende Wissen bereitstellt. (3) Multiple Perspektiven. Die Lernumgebung soll den Lernenden multiple Kontexte anbieten, um sicherzustellen, daß das Wissen nicht auf einen Kontext fixiert bleibt, sondern flexibel auf andere Problemstellungen übertragen werden kann. Zudem wird den Lernenden die Möglichkeit gegeben, Probleme aus multiplen Perspektiven zu betrachten und daher unterschiedliche Standpunkte einzunehmen. (4) Artikulation und Reflexion. Als weiteres Mittel, der Gefahr vorzubeugen, daß Wissen, das im Kontext der Lösung eines bestimmten Problems erworben wird, an eben diesen Problemkontext gebunden bleibt, sollen Problemlöseprozesse artikuliert und reflektiert werden. Damit soll abstrahiertes Wissen erworben werden, das sich von abstraktem Wissen dadurch unterscheidet, daß es vom Individuum in einer Anwendungssituation selbst aufgebaut wurde. (5) Lernen im sozialen Austausch. Kooperatives Lernen und Problemlösen in Lerngruppen sollen ebenso gefördert werden wie gemeinsames Lernen und Arbeiten von Lernenden mit Experten im Rahmen situierter Problemstellungen. Konkrete instruktionale Ansätze, in denen die Mehrzahl dieser Forderungen zum situierten Lernen umgesetzt wurden, sind der "Cognitive Apprenticeship" Ansatz (COLLINS), die "Anchored Instruction" (COGNITION AND TECHNOLOGY GROUP AT VANDERBILT) und die "Random Access Instruction" (SPIRO).
Lerntransfer
GERSTENMAIER, J./MANDL, H.: Wissenserwerb unter konstruktivistischer Perspektive. In: Zeitschrift für Pädagogik 41 (1995), S. 867 ff.
GRUBER, H./LAW, L.-C./MANDL, H./RENKL, A.: Situated learning and transfer. In: REIMANN, P./SPADA, H. (Hrsg.): Learning in humans and machines: Towards an interdisciplinary learning science. Oxford 1995, S. 168-188
LAVE, J.: Situating learning in communities of practice. In: Resnick, L. B./Levine, J. M./Teasley, S. D. (Hrsg.): Perspectives on socially shared cognition. Washington 1991, S. 63-82
RENKL, A.: Träges Wissen: Wenn Erlerntes nicht genutzt wird. In: Psychologische Rundschau 47 (1996), S. 78 ff.
RESNICK, L. B.: Learning in school and out. Educational Researcher 16 (1987), 9, S. 13 ff.
Metadaten zuletzt geändert: 25 Mai 2018 12:47