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- URN zum Zitieren dieses Dokuments:
- urn:nbn:de:bvb:355-epub-404247
- DOI zum Zitieren dieses Dokuments:
- 10.5283/epub.40424
Dokumentenart: | Hochschulschrift der Universität Regensburg (Dissertation) |
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Open Access Art: | Primärpublikation |
Datum: | 4 Juli 2019 |
Begutachter (Erstgutachter): | Prof. Dr. Julika Loss |
Tag der Prüfung: | 26 Juni 2019 |
Institutionen: | Medizin > Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin > Medizinische Soziologie |
Stichwörter / Keywords: | wahrgenommene Ernährungsumgebung, Senioren, Ernährung, qualitative Analyse |
Dewey-Dezimal-Klassifikation: | 600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften > 610 Medizin |
Status: | Veröffentlicht |
Begutachtet: | Ja, diese Version wurde begutachtet |
An der Universität Regensburg entstanden: | Ja |
Dokumenten-ID: | 40424 |
Zusammenfassung (Deutsch)
Präventive, ernährungsbezogene Maßnahmen haben aufgrund der steigenden Prävalenz von Übergewicht und chronischen Erkrankungen eine hohe Public Health-Relevanz. Zahlreiche Studien belegen, dass es nicht ausreicht, Ernährungsverhalten allein durch Maßnahmen der Verhaltensprävention (z.B. Schulungen) zu adressieren, da neben individuellen Faktoren wie Ernährungswissen, -kompetenzen und Motivation ...
Zusammenfassung (Deutsch)
Präventive, ernährungsbezogene Maßnahmen haben aufgrund der steigenden Prävalenz von Übergewicht und chronischen Erkrankungen eine hohe Public Health-Relevanz. Zahlreiche Studien belegen, dass es nicht ausreicht, Ernährungsverhalten allein durch Maßnahmen der Verhaltensprävention (z.B. Schulungen) zu adressieren, da neben individuellen Faktoren wie Ernährungswissen, -kompetenzen und Motivation auch die Ernährungsumgebung einen zentralen Einfluss auf Ernährungsgewohnheiten hat. Story et al. haben verschiedene Einflussfaktoren der Umgebung auf Ernährung identifiziert und ein Modell für die Ernährungsumgebung (food environment) entwickelt, das mehrere Ebenen unterscheidet: die soziale Mikro-Ebene, die physikalisch-materielle Meso-Ebene und die gesellschaftlich-politische Makro-Ebene. Auf der sozialen Ebene können z.B. Unterstützung durch Familie und Freunde oder Einsamkeit das Ernährungsverhalten beeinflussen. Auf physikalisch-materieller Ebene spielen v.a. die lokalen Verfügbarkeiten von Lebensmitteln oder die Erreichbarkeit von Supermärkten eine Rolle, während auf der gesellschaftlich-politischen Makro-Ebene die Lebensmittelindustrie und -werbung sowie kulturelle Traditionen, Normen und Werte wirken.
Der Großteil der Studien zum food environment hat den Zusammenhang zwischen der physikalisch-materiellen Ernährungsumgebung und dem Ernährungsverhalten untersucht. Es zeigt sich, dass bei der Auswahl von Lebensmitteln immer die Zugänglichkeit zu einem Lebensmittelgeschäft und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln eine Rolle spielen. Allerdings fokussieren diese Studien oft nur eine ausgewählte Komponente der Ernährungsumgebung, z.B. die Supermarktdichte, und ein exemplarisches Ernährungsverhalten, wie Obst-/Gemüse-Konsum und erfassen damit nicht immer die „reale“, wahrgenommene Ernährungsumgebung eines Menschen (perceived food environment). Hierzu ist es wichtig, auch die Perspektiven und Erfahrungen von Menschen, die in einer bestimmten (Ernährungs-) Umgebung leben, zu untersuchen.
Ältere Menschen stellen heutzutage aufgrund des demographischen Wandels eine wachsende Bevölkerungsgruppe dar. Gerade im Alter steigt das Risiko für ernährungsbezogene Erkrankungen und Mangelernährung durch zahlreiche biologische und soziale Veränderungen.
Die vorliegende Arbeit sollte deshalb explorieren, wie Senioren im ländlichen Raum ihre Ernährungsumgebung wahrnehmen, deren Einfluss auf ihr Ernährungsverhalten bewerten und wie sie mit verschiedenen Faktoren ihrer Ernährungsumgebung umgehen. Ebenfalls sollte ermittelt werden, inwieweit die Wahrnehmung von Faktoren der Ernährungsumgebung im Rahmen des Gesundheitsförderungsprojekts „GEniESseR Oberpfalz“ verbessert werden konnte, welches die Anwendung des Empowerment-Konzeptes zum Thema „gesunde Ernährung“ untersuchte.
Für die Beantwortung der Fragestellung wurde ein qualitativ-exploratives Forschungsdesign mit multi-methodischer Datenerhebung gewählt. Datengrundlage sind leitfadengestützte Einzelinterviews mit Senioren (n=35; 71,2±6,9 Jahre; 29 Frauen, 6 Männer). Zur vertiefenden Analyse und Triangulation der Daten wurden darüber hinaus Abschlussinterviews (n=12) nach Ablauf des Projekts und Fokusgruppendiskussionen (n=4) mit den Teilnehmern herangezogen sowie Beobachtungsprotokolle aller GEniESseR-Gruppentreffen (n=85). Die Daten wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.
Es ergaben sich vielfältige wahrgenommene Einflüsse der Umgebung auf das Ernährungsverhalten, die allen drei Ebenen des beschriebenen Modells von Story et al. zugeordnet werden konnten. Soziale Faktoren werden von den Senioren als größter Einflussfaktor wahrgenommen. Sie passen ihr Ernährungsverhalten den Vorlieben und Bedürfnissen von Angehörigen an. Hierbei machen vor allem die krankheitsbedingten Bedürfnisse des Partners Anpassungen der Auswahl von Lebensmitteln und des Mahlzeitenrhythmus nötig, die als einschränkend empfunden werden. Ein verkleinerter Haushalt (z.B. durch Auszug der Kinder, Verlust des Partners) führt ebenso zu quantitativen und qualitativen Veränderungen des Einkaufs- und Kochverhaltens. Darüber hinaus lassen sich tradierte soziale Rollen (z.B. als Gastgeber) als wahrgenommene Faktoren identifizieren. Mit ihren lokalen Einkaufsmöglichkeiten sind die Senioren überwiegend zufrieden, auch wenn eine schlechte Zugänglichkeit zu Supermärkten durch den öffentlichen Nahverkehr kritisiert wird. Viele der Befragten legen Wert auf saisonale und regionale Lebensmittel und versorgen sich mit selbst angebautem Obst und Gemüse. Faktoren der Makro-Ebene, z.B. Einflüsse durch die Lebensmittelindustrie oder Werbung werden kaum genannt.
Insgesamt scheinen sich die Senioren an ihre Ernährungsumgebung gut angepasst zu haben. Der Großteil schreibt die Verantwortung für das eigene Ernährungsverhalten ausschließlich sich selbst zu. So sind die Umgangsweisen mit der Ernährungsumgebung vor allem Anpassungen und Verhaltensänderungen auf individueller Ebene und betreffen Faktoren der sozialen und der physikalisch-materiellen Ebene. Beispielsweise passen sich vor allem Seniorinnen aufgrund traditioneller Rollenvorstellungen im Laufe ihres Lebens an die Vorlieben und Bedürfnisse des Ehemannes an. Darüber hinaus entwickeln sie persönliche Kompensations-Strategien für den Umgang mit einem übermäßigen Essensangebot im Rahmen von besonderen Anlässen.
Hinsichtlich der abstrakteren Einflussfaktoren der Makro-Ebene, wie z.B. den Vorgehensweisen der Lebensmittelindustrie, entwickelte sich bei einigen Senioren im Rahmen des GEniESseR-Projekts zwar ein Problembewusstsein, generell empfinden sich die meisten Senioren aber als machtlos. Durch zunehmende Empörung im Verlauf des Projekts entstand bei einigen Teilnehmern jedoch das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden und sich für die Bewerbung und den Kauf regional produzierter Lebensmittel einzusetzen.
Diese Ergebnisse liefern Ansatzpunkte für die gemeindenahe Gesundheitsförderung. Über klassische Schulungsmaßnahmen hinaus sollten Gesundheitsprojekte das Bewusstsein für die vielfältigen Umgebungseinflüsse auf das Ernährungsverhalten schärfen. Auf diese Weise können Menschen im Sinne des Empowerment-Ansatzes befähigt werden, selbständig gesunde (Ernährungs-) Lebensräume für sich und ihre Mitmenschen zu schaffen. Forschungsbedarf besteht, um spezifische Faktoren der Ernährungsumgebung für weitere Zielgruppen und Settings identifizieren zu können.
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
The prevalence rates of obesity and nutrition-related non-communicable diseases (e.g. cancer, type 2 diabetes, cardiovascular diseases) are increasing in many developed countries, highlighting the necessity of public health programs focusing on healthy diets. Educational and/or behavioural approaches, however, have not been as successful as expected. This can partly be attributed to the fact ...
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
The prevalence rates of obesity and nutrition-related non-communicable diseases (e.g. cancer, type 2 diabetes, cardiovascular diseases) are increasing in many developed countries, highlighting the necessity of public health programs focusing on healthy diets. Educational and/or behavioural approaches, however, have not been as successful as expected. This can partly be attributed to the fact that not only individual factors (e.g. knowledge, personal motivation) affect a person’s eating behaviour, but also the environment and the conditions that the person lives in. In order to describe the multiple factors influencing what people eat, and with a view to creating healthy food and eating environments, Story et al. (2008) suggested an ecological framework including social (e.g. support of family and friends), physical (e.g. availability of food) and macro-level environments (e.g. the food industry or cultural traditions).
Although this multifaceted framework has highlighted the complexity of factors influencing food choices, the bulk of research focuses on single or selected components of the local food environment (e.g. the presence of supermarkets in a given area), and on selected aspects of eating behaviour (e.g. consumption of fruit and vegetables). These approaches may fail to depict comprehensively the ‘real’ food environment of a person, which can be affected by various factors (e.g. public transportation, opening hours, personal preferences etc.). In order to better understand these factors and their mutual interactions, researchers suggested to examine people’s subjective, ‘perceived food environment’.
The importance of healthy nutrition in every stage of life is obvious. Yet, due to the demographic change, elderly citizens constitute an ever-growing proportion of the society, and senior citizens in industrialized countries usually have a life expectancy of 20-30 years and more after retiring. During this period of life, the risk for chronic diseases (e.g. diabetes, cancer or arthritis) is increasing, and malnutrition is a serious condition affecting almost 46 % of the European population over 65 years. Biologically, ageing is associated with reduced energy intake and loss of appetite. In addition, age-related visual impairment or manual dexterity can limit the ability to buy, prepare and enjoy healthy and nutritious foods. Social conditions, such as living and eating alone, can also diminish dietary quality and the amount of consumed food.
The purpose of this study was to explore how elderly people in rural communities in Bavaria, Germany perceive their food environment. It also strove to understand how senior citizens handle different environmental factors in their everyday life, i.e. how they cope with factors that they realize to influence their food choice and diet in a negative way.
We used a cross-sectional qualitative design by conducting semi-structured face-to-face interviews with senior citizens in five German communities. The sample consisted of 35 senior citizens of 65 years and over. They were recruited among the 54 participants of community-based projects on healthy nutrition. We conducted a content analysis according to Mayring (2010).
The interviews illustrate that senior citizens are aware of multiple factors influencing their food choice and diet in their everyday life, some of those factors even preventing them from eating the way they would prefer (in terms of time, ingredients, and amount) or the way they considered as healthy. Factors from the social context were particularly relevant, namely the food preferences or disease-related nutritional requirements of family members, or social events (family reunions, social dinners, birthday parties) that were associated with traditions of rich food high in calories, fat and sugar. Access to a backyard garden can enable senior citizens to grow their own fruit and vegetables and was perceived as an opportunity to eat healthier food. Whereas the local shopping facilities were rated as satisfying even for particular food preferences, the restaurants in the (rural) neighbourhoods were criticised by interview partners for inducing them to eat oversized and unhealthy meals. On the macro level, the interview partners blamed the food industry and unsatisfying labelling policies for tricking them into buying food that may be detrimental to them (or to the environment or animal rights). Media coverage on healthy nutrition or consumer protection was reported to significantly impact on food choice and eating behaviour.
Despite noticing that the environment affects their eating habits in an undesirable way, the interview partners did not seem to question those environmental factors but felt personally responsible for their eating behaviour. They dealt with undesired influences of the food environment predominantly by using strategies of adaptation and behaviour change on the individual level. Rather than challenging a social role (as a wife, as a host, as a guest) that is associated with eating or serving (unhealthy) meals that others prefer, they would make efforts to cook separate meals for themselves, or to go on a fast as compensation for over-indulging. Rather than confronting supermarket staff with the unsatisfying range of food in store, they go to ends to cycle to stores further off, or grow their own vegetables. Especially with factors on the macro level (e.g. food industry), critical awareness was paired with the feeling of powerlessness.
These findings show that health promotion programs should, in a first step, raise the awareness for environmental factors that are influencing eating habits not only among decision-makers, but also among citizens. People need to perceive their food environment as relevant and as potentially susceptible to change before they can engage in advocacy and activities to create healthier environments for themselves.
Metadaten zuletzt geändert: 25 Nov 2020 17:54