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- URN zum Zitieren dieses Dokuments:
- urn:nbn:de:bvb:355-epub-594147
- DOI zum Zitieren dieses Dokuments:
- 10.5283/epub.59414
Zusammenfassung
Die konzeptionell weiterentwickelte Idee eines digital organisierten Parteivortrags in einem digitalen Basisdokument wurde an vier Landgerichten Bayerns und Niedersachsens im bundesweit ersten Reallabor auf dem Gebiet des Zivilprozesses praktisch erprobt. Mit dem Basisdokument werden der gesamte Parteivortrag sowie richterliche Hinweise in einem digitalen Dokument gebündelt. Das Basisdokument ...

Zusammenfassung
Die konzeptionell weiterentwickelte Idee eines digital organisierten Parteivortrags in einem digitalen Basisdokument wurde an vier Landgerichten Bayerns und Niedersachsens im bundesweit ersten Reallabor auf dem Gebiet des Zivilprozesses praktisch erprobt. Mit dem Basisdokument werden der gesamte Parteivortrag sowie richterliche Hinweise in einem digitalen Dokument gebündelt. Das Basisdokument ersetzt so den Austausch von Schriftsätzen mit Sachvortrag und Rechtsausführungen. Der Vortrag der Parteien erfolgt weiterhin unabhängig von gegnerischem Vortrag. Die digitale Organisation des Parteivortrags ermöglicht jedoch direkte Bezugnahmen auf gegnerische Vortragselemente sowie die gezielte spätere Ergänzung des Vortrags an der sachlich passenden Stelle. Die Art und Weise der Befüllung des Basisdokuments bleibt hinsichtlich des Umfangs und des inhaltlichen Aufbaus unbeschränkt. Eine inhaltliche Ausrichtung auf das konkrete Verfahren kann im Einzelfall durch die Gerichte durch „Vorpräparierung“ erfolgen („relatives Basisdokument“).
Die Erprobung fand auf freiwilliger Basis unter den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des gegenwärtigen Zivilprozesses statt. Die verfahrensbezogene Kommunikation erfolgte auf Basis des bestehenden elektronischen Rechtsverkehrs nach Maßgabe der Vorgaben des ERV. Das Forschungsinteresse der Projektgruppe konzentrierte sich auf eine ergebnisoffene Untersuchung der Praxistauglichkeit des Basisdokuments.
Insgesamt wurden von 60 teilnehmenden Richterinnen und Richtern über einhundert Verfahren für die Erprobung des Basisdokuments gemeldet. Aus diesen Verfahren konnten u.a. in 51 Interviews umfassende qualitative Erkenntnisse zur Praktikabilität des Basisdokuments in der zivilprozessualen Praxis gewonnen werden.
Die erprobte Umsetzung des Basisdokuments wurde von einem Großteil der Erprobungsteilnehmenden konzeptionell positiv bewertet. Besonders überzeugen konnte dabei der inhaltlich offene Ansatz, mit dem eine digitale Aufbereitung des Parteivortrags ohne Eingriff in die freie inhaltliche Gestaltung des Vortrags durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gelingt. Zahlreiche Vorteile des Basisdokuments wurden bestätigt. Zweifel an der Handhabbarkeit des Basisdokuments in der zivilprozessualen Praxis konnten in großen Teilen ausgeräumt werden. Grundsätzliche, konzeptionelle Kritik an dem im Reallabor erprobten Ansatz blieb vereinzelt. Die hohe Akzeptanz des Basisdokuments im Reallabor zeigt, dass sich das Grundkonzept des minimalinvasiven Basisdokuments in einem ersten Praxistest bewährt hat (Proof of Concept) und ein zentrales Element eines modernen, digitalen Zivilprozesses sein kann.
Es empfehlt sich auf dieser Grundlage eine Fortsetzung der Erprobung des im Reallabor bewährten Konzepts des Basisdokuments unter Nutzung einer Experimentierklausel und unter Abkehr vom Freiwilligkeitsprinzip des Reallabors. Die rechtlichen Grundlagen sollten sich auch auf den Einsatz einer Kommunikationsplattform zur weitergehenden Erprobung erstrecken.
Für eine vertiefende Erprobung bei bestimmten Gerichten wäre eine verpflichtende, rechtsgebiets- und verfahrensunabhängige Nutzung des Basisdokuments im Anwaltsprozess ab Klageerhebung bei Möglichkeit eines Opt-out auf Parteiantrag, über den das Gericht mittels unanfechtbaren Beschlusses entscheidet, ratsam.
Auf diese Weise könnten im Reallabor offengebliebene Forschungsfragen untersucht werden.
Metadaten zuletzt geändert: 23 Okt 2024 12:58