Zusammenfassung
Die Wirkungsweise von Richtlinien bei der Auslegung nationalen Rechts vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist beschäftigt Rechtsprechung und Literatur seit mehr als 25 Jahren. Umso erstaunlicher ist es, dass nach wie vor zentrale Fragen der verschiedenen Vorwirkungskonzepte ungeklärt sind. In Bewegung gekommen ist die Diskussion aus europäischer Sicht durch das in der deutschen Öffentlichkeit intensiv ...
Zusammenfassung
Die Wirkungsweise von Richtlinien bei der Auslegung nationalen Rechts vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist beschäftigt Rechtsprechung und Literatur seit mehr als 25 Jahren. Umso erstaunlicher ist es, dass nach wie vor zentrale Fragen der verschiedenen Vorwirkungskonzepte ungeklärt sind. In Bewegung gekommen ist die Diskussion aus europäischer Sicht durch das in der deutschen Öffentlichkeit intensiv diskutierte Mangold-Urteil des EuGH vom 22. 11. 2005 zu den Wirkungen der Richtlinie zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf mit Blick auf die Befristung von Arbeitsverhältnissen von älteren Arbeitnehmern. Auf nationaler Ebene wurde unlängst die BGH-Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist vom VGH Baden-Württemberg in Frage gestellt. Dabei ist der VGH in seinem Beschluss vom 12. 5. 2005 offensichtlich davon ausgegangen, dass es letztlich dem Richter "freisteht", ob er eine solche Auslegung wählt oder nicht. Das ist aus Sicht des betroffenen Bürgers nicht akzeptabel, wie der vom VGH entschiedene Asylrechtsfall besonders plastisch vor Augen führt. Auch auslegungsmethodisch kann ein solches Ergebnis nicht befriedigen. Der folgende Beitrag soll ausgehend von einer sorgfältigen Einordnung der verschiedenen Rechtsprechungsansätze Klarheit darüber geben, in welchen Fällen die Berücksichtigung einer Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist seitens der Normanwender geboten ist. Es wird gezeigt, dass es keine ungebundenen Berücksichtigungsmöglichkeiten gibt.