Zusammenfassung
In einer konstitutionalisierten Rechtsordnung mit ausgeprägter Verfassungsgerichtsbarkeit hat Verfassungsrecht ein erhebliches rechtsvereinheitlichendes Potential. Das gilt auch für die europäische Grundrechteverfassung mit dem EGMR. Verschiedene Instrumente gestatten es dem EGMR, den Grad der Grundrechtsharmonisierung zu kontrollieren. An erster Stelle steht der nationale Beurteilungsspielraum, ...
Zusammenfassung
In einer konstitutionalisierten Rechtsordnung mit ausgeprägter Verfassungsgerichtsbarkeit hat Verfassungsrecht ein erhebliches rechtsvereinheitlichendes Potential. Das gilt auch für die europäische Grundrechteverfassung mit dem EGMR. Verschiedene Instrumente gestatten es dem EGMR, den Grad der Grundrechtsharmonisierung zu kontrollieren. An erster Stelle steht der nationale Beurteilungsspielraum, der Raum für rechtskulturelle Vielfalt und nationale Gemeinwohlhorizonte lässt. Demgegenüber bieten die Diskriminierungsverbote des Art. 14 EMRK einen Ansatz, um auch dort kontrollierend einzugreifen und eine nationale Rechtsordnung an ihren eigenen Maßstäben zu messen, wo einheitliche europäische Maßstäbe fehlen. Die Einzelfallorientierung der Straßburger Rechtsprechung ist unter Vereinheitlichungsgesichtspunkten ambivalent. Einerseits verhindert der Blick auf den Einzelfall eine systematische Rechtsvereinheitlichung. Andererseits verdrängt das Streben nach Einzelfallgerechtigkeit schematische Ordnungsvorstellungen des nationalen Rechts zugunsten von Abwägungsentscheidungen. Damit wird die Verlagerung von Gemeinwohlkompetenz auf Gerichte, die individuelle Rechtspositionen zum Ausgleich zu bringen haben, zum gemeinsamen Strukturmerkmal europäischer Rechtsordnungen.