Tinnitus wird definiert als das Hören von einem Geräusch in Abwesenheit eines externen Stimulus. Dieser Begriff umfasst ein komplexes Syndrom, das sich sowohl in der klinischen Ausprägung, als auch in der Pathogenese und dem intra- und interindividuellen Verlauf in hohem Maß heterogen präsentiert. Es zeigt eine hohe Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung und kann zur schweren Beeinträchtigung der ...
Zusammenfassung (Deutsch)
Tinnitus wird definiert als das Hören von einem Geräusch in Abwesenheit eines externen Stimulus. Dieser Begriff umfasst ein komplexes Syndrom, das sich sowohl in der klinischen Ausprägung, als auch in der Pathogenese und dem intra- und interindividuellen Verlauf in hohem Maß heterogen präsentiert. Es zeigt eine hohe Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung und kann zur schweren Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Die Aufklärung zugrundeliegender intrazerebraler pathophysiologischer Prozesse dieses Krankheitsbildes ist daher Gegenstand intensiver Forschung. In Neurobildgebungsstudien konnte eine Beteiligung von dynamisch interagierenden Netzwerken für Perzeption, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und emotionale Prozesse dokumentiert werden, wesentliche Bestandteile deren auditorische, frontale, parietale und limbische Gehirnregionen bilden. Für das Ausmaß des Schweregrades der subjektiven Beeinträchtigung durch Tinnitus konnte hierbei eine Assoziation mit funktionellen wie strukturellen Veränderungen vorrangig non-auditorischer Bereiche gezeigt werden, für die klinischen Parameter Lateralität und Dauer existieren nur wenige Belege eines diesbezüglichen Zusammenhangs. Ein Ziel unserer Studie war, mögliche Zusammenhänge zwischen den genannten klinischen Charakteristika des Syndroms und Abweichungen des Volumens der grauen Substanz zu identifizieren. Ein weiteres Ziel bestand in der Evaluation der Eignung der Methode der voxelbasierter Morphometrie (VBM) für die Detektion tinnitusassoziierter struktureller Veränderungen angesichts der bisher inkonsistenten Studienergebnisse auf diesem Gebiet. Es wurden zwei große unabhängige Kohorten von 257 respektive 78 Patienten mittels struktureller Magnetresonanztomographie untersucht und die erhaltenen Datensätze anschließend mittels VBM ausgewertet. Die Parameter Lateralität und Dauer ergaben jeweils kein signifikantes Ergebnis. Für das Merkmal des tinnitusbedingten Leidensdrucks zeigte sich in beiden Gruppen eine signifikante negative Korrelation zwischen dem Volumen der beidseitigen mittleren und superioren temporalen Gyri einschließlich der Heschl‘schen Gyri sowie Insulae und dem Schweregrad der Beeinträchtigung. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der auditorische Kortex möglicherweise eine viel komplexere Rolle in der Pathogenese sowohl des Tinnitus, als auch des tinnitusbedingten Leidensdruckes einnimmt, als bisher angenommen. Unter der Annahme, dass strukturelle Veränderungen des Gehirns mit Veränderungen der Funktion der entsprechenden Regionen zusammenhängen, unterstützen die von uns festgestellten Zusammenhänge die Hypothese, dass ein Modell, welches die Funktion des auditorischen Kortex ausschließlich in der Perzeption des Tinnitussignals sieht und die durch den Tinnitus entstehende subjektive Belastung erst einer Koaktivierung verschiedener non-auditorischer Areale, die zusammen ein Distressnetzwerk bilden, zuordnet, zu vereinfachend gehalten ist. Die distressabhängige Reduktion des Volumens der grauen Substanz des auditorischen Kortex kann als ein Hinweis auf Interaktion zwischen dem Perzeptions- und dem Distressnetzwerk gedeutet werden, gesteuert unter anderem durch Rückkopplungsprozesse. Unser Ergebnis unterstützt somit ein Modell, das eine simultane Aktivierung multipler ineinandergreifender neuronaler Netzwerke für die Ausbildung des Tinnitus erfordert. Der Befund der negativen Korrelation des insulären Volumens mit dem Schweregrad der tinnitusbedingten Beeinträchtigung lässt sich ebenfalls in dieses Modell integrieren, da eine Beteiligung der Inselrinde sowohl generell bei der Ausbildung einer Stressreaktion als auch speziell bei der Entstehung der tinnitusbedingten Belastungsreaktion wiederholt belegt werden konnte. Die in der Untersuchung der Hauptkohorte erzielten Effekte waren stabil und statistisch robust, was durch die Analyse der zweiten, unabhängigen Gruppe bestätigt wurde. Jedoch zeigten sich die Effekte trotz eines großen Patientenkollektivs klein und von niedriger statistischer Teststärke und könnten hierdurch einen Erklärungsansatz für die Heterogenität der bisherigen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet darstellen. Unser Ergebnis deutet auf eine zu niedrige Sensitivität der VBM bezüglich der Fragestellung der tinnitusassoziierten strukturellen Veränderungen des Gehirns, oder die vorhandenen morphologischen Veränderungen sind zu klein. Weitere Forschung unter Implikation möglichst homogener Probandenkollektive, longitudinalen Studiendesigns oder neuer Analysestrategien ist erstrebenswert, um zur Klärung dieser Frage beizutragen.
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
Neuroimaging studies of tinnitus suggest the involvement of wide-spread neural networks for perceptual, attentional, memory, and emotional processes encompassing auditory, frontal, parietal, and limbic areas. Despite sparse findings for tinnitus duration and laterality, tinnitus distress has been shown to be related to changes in non-auditory cortical areas. The aim of this study was to correlate ...
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
Neuroimaging studies of tinnitus suggest the involvement of wide-spread neural networks for perceptual, attentional, memory, and emotional processes encompassing auditory, frontal, parietal, and limbic areas. Despite sparse findings for tinnitus duration and laterality, tinnitus distress has been shown to be related to changes in non-auditory cortical areas. The aim of this study was to correlate tinnitus characteristics with grey matter volume in two large samples of tinnitus patients. High-resolution brain images were obtained using a 1.5 T magnetic resonance imaging scanner and analysed by means of voxel-based morphometry. In sample one (n = 257), tinnitus distress correlated negatively with grey matter volume in bilateral auditory areas including the Heschl’s gyrus and insula, that is, the higher the tinnitus distress the lower the grey matter volume. The effects of this correlation were small, but stable after correction for potential confounders such as age, gender, and audiometric parameters. This negative correlation was replicated in a second independent sample (n = 78). Our results support the notion that the role of the auditory cortex in tinnitus is not restricted to perceptual aspects. The distress observed was dependent on grey matter alterations in the auditory cortex, which could reflect reverberations between perceptual and distress networks.