| Lizenz: Veröffentlichungsvertrag für Publikationen mit Print on Demand (1MB) |
- URN zum Zitieren dieses Dokuments:
- urn:nbn:de:bvb:355-epub-349880
Dokumentenart: | Hochschulschrift der Universität Regensburg (Dissertation) |
---|---|
Open Access Art: | Primärpublikation |
Datum: | 20 Dezember 2016 |
Begutachter (Erstgutachter): | Prof. Dr. Sigmund Bonk |
Tag der Prüfung: | 25 Oktober 2010 |
Institutionen: | Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften > Institut für Philosophie > Prof. Dr. phil. habil. Sigmund Bonk |
Stichwörter / Keywords: | personale Identität; Film; Kino; Philosophie des Films |
Dewey-Dezimal-Klassifikation: | 100 Philosophie und Psychologie > 100 Philosophie |
Status: | Veröffentlicht |
Begutachtet: | Ja, diese Version wurde begutachtet |
An der Universität Regensburg entstanden: | Ja |
Dokumenten-ID: | 34988 |
Zusammenfassung (Deutsch)
Gegenstand der Dissertation „Kino im Kopf - ´Kopf´ im Kino. Das Problem der personalen Identität im Spiegel des Unterhaltungsfilms“ ist die Überlegung, ob der an sich paradoxe Versuch einer Visualisierung des Abstraktums (personale) Identität im Spielfilm einen aufschlussreichen neuen Blickwinkel auf den Identitätsdiskurs werfen kann, der sich innerhalb der Disziplin spätestens seit den siebziger ...
Zusammenfassung (Deutsch)
Gegenstand der Dissertation „Kino im Kopf - ´Kopf´ im Kino. Das Problem der personalen Identität im Spiegel des Unterhaltungsfilms“ ist die Überlegung, ob der an sich paradoxe Versuch einer Visualisierung des Abstraktums (personale) Identität im Spielfilm einen aufschlussreichen neuen Blickwinkel auf den Identitätsdiskurs werfen kann, der sich innerhalb der Disziplin spätestens seit den siebziger Jahren nahezu ausschließlich in der analytischen Philosophie angelsächsischer Provenienz abspielt.
Als Ansatz- und Kristallisationspunkt dient zunächst eine Passage aus dem Oeuvre des US-amerikanischen SF-Autors Philip K. Dick, welcher der Arbeit als vorwissenschaftliche Leitfrage vorangestellt wurde: "Was sieht eine Kamera eigentlich?, fragte er sich. Ich meine, was sieht sie wirklich ? Sieht sie in den Kopf hinein? Oder in das Herz? Sieht eine starr montierte Infrarot-Kamera in mich - in uns - hinein und ist das Bild, das auf den Schirmen erscheint, klar oder verschwommen?" Der ursprüngliche Fragesteller, Bob Arctor, Protagonist von Dicks Roman Der dunkle Schirm, ist ein in vieler Hinsicht postmoderner Mensch, der um Identität ringt, sowohl als stabile innere Konstante im Wandel der Zeit, als auch im Sinne einer Übereinstimmung mit seiner Lebenswelt. Die Arbeit paraphrasiert diese Frage und deutet sie um: die Kamera, welche in der Dissertation figuriert, ist nicht die unbestechliche und objektive Zeugenschaft der Überwachungskamera, sondern der auswählende und deutende Blick der Filmkamera, das Ergebnis also ein höchst artifizielles Produkt menschlichen Kulturschaffens.
Als zentraler Schlüsselbegriff der Arbeit dient dabei der Begriff der Identifikation, die sowohl als Identifikation mit kulturellen Wertigkeiten und somit formierendes Element des kulturellen Selbst bedeuten kann, als auch Identifikation mit Elementen der Einzellbiographie, und zwar sowohl mit indiviualhistorisch integrierten Ereignissen und Handlungen als auch zukünftigen Zielen. "Identität" im Sinne dieser Arbeit wird also ganz dezidiert nicht als etwas betrachtet, was rein geprägt oder "leidend" ist, sondern vom Wesen her vielmehr aktiv, perzeptiv.
Zur Einbettung dieses perzeptiven Selbstbegriffs in einen umgebenden, ganzheitlichen Kontext dient dann auch der weite Rekurs auf Theoriemodelle, welche Identität und Individualität primär als perspektivisch begreifen, wie man sie, wohl durchaus mit Verwurzelung im Neuplatonismus, schon bei Nikolaus von Cues findet, deren Kulminationspunkt aber zweifellos das monadologische System Leibniz´ darstellt. Diesen perspektivischen Identitätsbegriff also greift die Arbeit auf; als zusätzliche, allerdings eher hintergründige oder unterschwellige Inspiration dienten desweiteren die Lebensphilosophie Henri Bergsons als auch die vitalistischen Vorstellungen des deutschen Filmtheoretikers und Psychologen Hugo Münsterberg.
Zentral für das Verständnis der vorliegenden Arbeit ist die These, daß sich Film anhand grundlegender Parallelen als analoger Versuchs- und Simulationsraum zur Erforschung personaler Identität eignet, als übersichtlicher Mikrokosmos oder Simulacrum im Sinne von Jean Baudrillard. Was in diesem Versuchsraum untersucht werden kann und soll sind die Vorbedingungen für Identifikation. Den Großteil der Arbeit beansprucht daher auch der Nachweis , das Kino und Spielfilm überhaupt einen tauglichen Simulationsraum für dieses Unterfangen abgeben.
Methodologisch wählt die Arbeit einen für den Fachbereich vergleichsweise ungewöhnlichen explorativen, empirischen Ansatz. Ausgehend von den persönlichen Film- und Seherfahrungen des Verfassers werden werden aus dem mittlerweile nahezu unauslotbarem Angebot an Unterhaltungsfilmen, welche die Krisen und Konflikte personaler Identität tangieren, mehr oder minder willkürliche „Samples“ zur Untersuchung entnommen. Bewußt wurden aus den zahlreichen vom Verfasser gesichteten Filmen nicht immer die bekanntesten Filmwerke herangezogen, sondern häufig genug auch „B-Filme“ oder direct-to-video-Produktionen. Um einem „gatekeeper“-Effekt zu begegnen, werden auch bei jedem Film eine ganze Reihe von Werken bennant, die man zur Demonstration der Thesen ebensogut ersatzweise hätte heranziehen können.
Teil Eins der Arbeit erstellt eine Typologie des „Identitätsfilms“ und isoliert dreizehn unterschiedliche Themenbereiche: Künstliche Identitäten * Alter Ego/Doppelleben * Doppelgänger * Hohle Menschen * Körperloses Leben * Verlorenes Selbst * Usurpation von Identität * Körperwechsel/Seelenwanderung * Biographischer Bruch * Spaltung * Überidentifikation * Identity Sharing/Fusion * Auflösung.
Hierbei gilt ein besonderes Augenmerk auch den Techniken, die zur Sichtbarmachung des „invisible man“ Identität im visuellen Medium Film gemacht werden.
Zusätzlich sollte im ersten Abschnitt erprobt werden, ob das Medium Film von seiner Natur her möglicherweise einen implizit substanzdualistischen oder einen materialistischen Ansatz zur Darstellung von Identität bevorzugt. Man kann feststellen, daß hier in Inhalt und Form kein deutliches Übergewicht der einen oder anderen Art festzustellen ist. Wo möglich wurden dualistische und materialistische Varianten des selben Motivs antithetisch gegenübergestellt. So wurde dem implizit dualistischen fallen innerhalb desselben Typus als Pendant The Thing - Das Ding aus einer anderen Welt beigestellt, welches ebenfalls Usurpation von Identität zum Thema hat, jedoch strikt auf eine materialistische Deutungsebene verweist.
Die Tauglichkeit - oder besser gesagt: die Grenzen der Tauglichkeit des Spielfilms als Simulacrum der personalen Identität versucht der zweite Abschnitt des Hauptteils durch verschiedene Gegenproben zu testen. Zunächst wird der Einfluß genretypischer Darstellungsmuster auf die Darstellung von Identität bzw. krisenhaften Ausprägungen personaler Identität durchgespielt: hier erweist sich, daß Genres mit besonders starker typenhafter Ausprägung der Protagonisten wie etwa der Western oder der Fantasyfilm sich kaum als Trägervehikel zur Problematisierung personaler Identität eignen, Filme also, in denen die Protagonisten zwar Konflikte innerhalb eines bestimmten, klar definierten Umfelds lösen müssen, sich jedoch dabei in voller Übereinstimmung mit den Rahmenbedingungen und Wertigkeiten ihrer mikrokosmischen Welt befinden, sich quasi mit ihr identifizieren. Kontrastierend dazu steht etwa die aus dem deutschen Expressionismus der 1920er Jahre geborene Welt des film noir, dessen Handlungsträger sich stets im Widerspruch mit ihrem lebensweltlichen Kontext wiederfinden.
Die zweite Gegenprobe zur Auslotung der Grenzen des Spielfilms als geeignetes Simulationsmittel stellt die Kontrastierung literaturbasierter Identitätsfilme mit ihrer Vorlage dar. Hier wurde eine Auswahl von drei Doppelungen getroffen:
-Christopher Nolans Verfilmung von Christopher Priests Roman "The Prestige", da dieser Stoff einen geradezu lehrbuchartigen puzzle case enthält, dessen Umsetzung in filmische Form sich als aufschlußreich erweist.
- desweiteren Mary Harrons Umsetzung von Brett Easton Ellis´ "American Psycho", wobei in einer Reihe von Exkursen nochmals auf den ersten Part des Hauptteils rekurriert wird und anhand einer weiterführenden Analyse des Typus des "Hohlen Menschen" die unverzichtbaren Konditionen für eine gelingende Identifikation mit den Handlungsträgern dargelegt werden.
- schließlich Philip K. Dicks Roman "A Scanner darkly", für das Kino interpretiert durch Richard Linklater, der die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Identitätssuche durch äußere Aufzeichnung und Film unmittelbar thematisiert.
Kontrastiert mit den Ergebnissen aus Abschnitt Eins des Hauptteils ergeben sich im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse als wissenschaftlicher Mehrwert der Arbeit:
- weder Überwachungskamera noch Spielfilm bieten selbstverständlich ein "magisches Auge" oder eine Geisterfotographie nach Kirlian, welche den Träger der personalen Identität in unwiderlegbarer Weise offenbaren könnte. Die wohl eher rhetorisch gewendete Frage, "ob die Kamera in mich hineinsehe", im Sinne der Bloßlegung eines Wesenskerns, müßte wenig überraschend mit nein beantwortet werden. Wie aber bei den Betrachtungen herausgearbeitet wurde, können immerhin klare Bedingungen für den Erfolg oder Mißerfolg von Identifikation herausgearbeitet werden: bei allen spektakulären und höchst problematischen Wandlungen, welche die Protagonisten der Identitätsfilme durchlaufen, scheint Identifikation doch stets zu gelingen, wobei diese im wesentlichen von zwei Faktoren getragen wird: die handlungsleitenden - z.T. auch durch inneren Monolog offenbarten - gefühlsmäßigen, als auch moralischen Grunddispositionen des Helden, also Ethos und Emotion, dürfen im Verlauf der Handlung nur geringfügig divergieren. Dabei spielen auch oft radikale physische Verwandlungen keine Rolle, ebensowenig Amnesie, zumindest solange der Gedächtnisverlust den üblichen filmdramaturgischen Regeln folgt. Exemplarisch demonstriert dies etwa Alex Projas Werk Dark City, wo der Hauptprotagonist eine ganze Reihe von Gedächtnislöschungen durchleiden muß, für den Zuschauer anhand seiner konstanten emotionalen Disposition zu verschiedenen anderen Figuren und seiner Berechenbarkeit bezüglich moralischer Entscheidungen stets als geeignete Projektionsfläche verbleibt. Wo tatsächlich im selben Körper noch eine grundsätzlich verschiedene Persönlichkeit, ein "Anderer" im eigentlichen Sinne, beheimatet ist, dort macht sich dessen Präsenz nur mittelbar durch die Ergebnisse seiner Handlungen oder durch episodenhafte Rückblenden bemerkbar - beispielgebend können hierfür etwa die Streifen Angel Heart oder The Number 23 dienen. Eine Abweichung von diesem Schema würde der Zuschauer als einen Einbruch des Irrationalen in die monadisch geschlossene Filmwelt und in der Folge zur Dekonstruktion dieses Mikrokosmos führen. So dürften dann auch Werke wie eXistenZ von David Cronenberg oder Lost Highway von David Lnych, bei denen die Handlungsträger inmitten des Geschehens durch namensgleiche, mental aber vollkommen verschiedene Personen ersetzt werden, eher als mediale Experimente denn als Spielfilme im Wortsinn gelten.
An dieser Stelle ergibt sich auch der direkte Bezug zur Hauptthese der Arbeit: die Eignung des Spielfilms als Schaukasten und Simulationsraum für das Studium des Problems der personalen Identität und der Bedingungen für gelingende Identifikation: fungiert doch die ungebrochene Identität des Hauptprotagonisten als funktionale Klammer und gleichzeitig Gravitationszentrum für den Spielfilm. Solange die Einheit von Ethos und Emotion gewahrt bleibt, ist auch die Illusion und somit die Projektionsfläche für aktive Identifikation gewahrt. Obwohl mit Sicherheit Forschungsarbeiten über den Begriff der Identifikation in anderen Medien notwendig sind, um zu erweisen, inwieweit die Abhängigkeit von Ethos und Emotion lediglich kontingent und möglicherweise nur den besonderen Rezeptionsbedingungen des Kinos geschuldet sind, ist es dennoch bedenkenswert, was hiermit über die Welt außerhalb des Kinosaals ausgesagt ist, insbesondere, wenn man personale Identität auch im Sinne einer Zuschreibung betrachtet, oder, in den Worten von Leibniz, einer Zeugenschaft durch Andere.
Nach dem Versuch des Erweises der Hauptthese durch Ergebnissynthese von Part Eins und Zwei des Hauptteils stellt der abschließende Dritte Part eine weiterführende Reflexion über die weiteren Rahmenbedingungen für gelingende Identifikation sowie über die Zweckursachen bezüglich des Wunschs nach Identifikation mit Filmhelden dar und versucht eine Reihe von Inspirations- und Anknüpfungspunkten anzubieten. Gegenstand der Betrachtung, die hier freilich nur glossierend und über sich selbst hinausweisend sein können, ist hier in der Hauptsache der Film als Möglichkeit zur aktuellen Neuinterpretation eines monadischen Weltbilds nach Leibniz mit einem perspektivischen Identitätsbegriffs, und dem Versuch einer Umdeutung weg von der "Identitätskrise" der postmodernen Welt, die sich in der Meinung des Verfassers ebenso als Wunsch nach säkularer Absolution, nach dem Abstreifen von Schuld durch den freiwilligen Wechsel der Identitäten erweist.
Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf Forschungsdesiderate , welche sich aus der Arbeit ergeben, etwa eine Neubelebung „vitalisitischen“ Filmverständnisses etwa im Sinne Bergsons oder Hugo Münsterbergs auch außerhalb des Kontextes des französischen Poststrukturalismus sowie auf Arbeiten in Nachbardisziplinen, etwa kulturwissenschaftlicher Betrachtungen zu kultureller und nationaler Identität im Unterhaltungsfilm.
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
„movies in your mind – your ´mind´ in the movies: the problem of personal identity in the mirror of movie entertainment” This dissertation tries to cast a fresh look at the traditional philosophical problem of personal identity through the camera-lens of contemporary entertainment movies. In fact, what can philosophers learn from the techniques used by scriptwriters, directors and ...
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
„movies in your mind – your ´mind´ in the movies: the problem of personal identity in the mirror of movie entertainment”
This dissertation tries to cast a fresh look at the traditional philosophical problem of personal identity through the camera-lens of contemporary entertainment movies. In fact, what can philosophers learn from the techniques used by scriptwriters, directors and SFX-specialists who try, paradoxically enough, to visualize an abstract concept, the “invisible man” of personal identity, for their audiences? Sure enough, there is a huge fascination with personal identity (and the weird problems and conflicts it can create) in the movie industry, and films which at least touch the subject number in the hundreds.
A central thesis of this dissertation is the author´s conviction, that by a vital similitude - much in the sense of H. Bergson - identity of person, seen as a living flow, and the stream of movie pictures can be paralleled, and thus be examined like twin brothers.
Methodologically, an empirical and exploratory approach is chosen; from the plethora of the material, the author has taken samples more or less at random, from widely known blockbusters to half-forgotten direct-to-video-productions.
Part I focusses on the techniques of visualization of personal identity and establishes a typology of thirteen different kinds of “identity movies”, according to the different kinds of conflict they picture: artificial identities; alter egos; doppelgangers; “hollow men”; life without body; loss of self/amnesia; identity hostile takeover; transmigration; biographical fracture; overidentification; fusion of identities; fission of identity; dispersion of identity.
Part II examines film genres from Western to film noir for their potential of being “identity movies”, and compares a number of literary novels with identity conflicts and their cinematizations.
Part III combines the results of this examinations with traditional philosophical approaches and tries to establish a view of movies as “monads” in the sense of G.W. Leibniz. Futhermore, it is shown that identification in the movies, through all conflicts of identity as listed above, can be accepted by the audience if the protagonist maintains, through all transformations, a consistency of ethos an emontion (i.e., his basic moral and emotional dispositions).
The dissertation concludes with prospects for further research, for example the implications for ethnic or national identity in the movies.
Metadaten zuletzt geändert: 25 Nov 2020 15:39