Zusammenfassung
Im Berichtszeitraum hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine Rechtsprechung zum Familienrecht konsolidiert und partiell weiterentwickelt. Straßburger Paukenschläge sind nicht zu verzeichnen. Während die Diskussion um die konventionsrechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auf einem Niveau zur Ruhe gekommen ist, das hinter dem aktuellen deutschen ...
Zusammenfassung
Im Berichtszeitraum hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine Rechtsprechung zum Familienrecht konsolidiert und partiell weiterentwickelt. Straßburger Paukenschläge sind nicht zu verzeichnen. Während die Diskussion um die konventionsrechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auf einem Niveau zur Ruhe gekommen ist, das hinter dem aktuellen deutschen Rechtsstand zurückbleibt, hat die Große Kammer bei der Leihmutterschaft den Vorrang des Kindeswohls vorsichtig gegenüber einer Missbrauchskontrolle relativiert. Im KIndschaftsrecht werden Schutz und Widerherstellung der tatsächlich gelebten Familienbeziehungen zwischen Kindern und ihren leiblichen Eltern als roter Faden erkennbar.
Insgesamt setzt der EGMR auf Einzelfallgerechtigkeit und verwahrt sich gegen schematische Lösungen. Das steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Unionsrecht, das bei Kindesentführungen auf eine klare Zuständigkeitsverteilung setzt und ggf. die unbedingte Anerkennung fremder Entscheidungen verlangt. Das beschwört einen Konflikt mit dem EuGH herauf. Während der EuGH mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens das Funktionieren der EU als Ganzes im Blick hat, nimmt der EGMR eher die Perspektive der betroffenen Individuen ein.
Im Übrigen setzt sich der Trend fort, die materielle Ergebniskontrolle hinter einer formellen Kontrolle der Entscheidungsfindung zurücktreten zu lassen. Das gilt bei der Vaterschaftsfeststellung ebenso wie im Adoptions- , Sorge- und Umgangsrecht . Haben die nationalen Instanzen die nötigen Verfahrensstandards beachtet und haben sie alle relevanten Aspekte berücksichtigt, wird der EGMR das Ergebnis im Zweifel akzeptieren. Das entspricht der materiellen Subsidiarität des Konventionssystems, wonach die richtige Anwendung der Konventionsstandards vorrangig den Mitgliedstaaten und namentlich den nationalen Gerichten obliegt.