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- URN zum Zitieren dieses Dokuments:
- urn:nbn:de:bvb:355-epub-478673
- DOI zum Zitieren dieses Dokuments:
- 10.5283/epub.47867
Dokumentenart: | Hochschulschrift der Universität Regensburg (Dissertation) |
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Open Access Art: | Primärpublikation |
Datum: | 18 August 2021 |
Begutachter (Erstgutachter): | Prof. Dr. Julika Loss |
Tag der Prüfung: | 28 Juli 2021 |
Institutionen: | Medizin > Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin Medizin > Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin > Medizinische Soziologie |
Stichwörter / Keywords: | Qualitative Sozialforschung, Migrationssoziologie, Syrien, Prävention, Gesundheitsförderung, Ernährung, Bewegung, Syria, Health Promotion, Qualitative Research, Migration, Physical Activity, Nutrition, Health Behavior, Immigrant Health |
Dewey-Dezimal-Klassifikation: | 300 Sozialwissenschaften > 300 Sozialwissenschaften, Soziologie 600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften > 610 Medizin |
Status: | Veröffentlicht |
Begutachtet: | Ja, diese Version wurde begutachtet |
An der Universität Regensburg entstanden: | Ja |
Dokumenten-ID: | 47867 |
Zusammenfassung (Deutsch)
Migration prägt die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts in Europa. Eine der Hauptursachen ist der seit 2011 schwelende syrische Bürgerkrieg, welcher maßgeblich die gesellschaftliche und politische Diskussion in Europa und insbesondere Deutschland prägt. Syrische Migrant:innen bilden die größte Gruppe registrierter Asylsuchender und insgesamt die drittgrößte Ausländergruppe in Deutschland. Damit ...
Zusammenfassung (Deutsch)
Migration prägt die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts in Europa. Eine der Hauptursachen ist der seit 2011 schwelende syrische Bürgerkrieg, welcher maßgeblich die gesellschaftliche und politische Diskussion in Europa und insbesondere Deutschland prägt. Syrische Migrant:innen bilden die größte Gruppe registrierter Asylsuchender und insgesamt die drittgrößte Ausländergruppe in Deutschland. Damit stellen sie eine relevante und neue Bevölkerungsgruppe für die Prävention und Gesundheitsförderung dar. Bisherige Forschung zur Gruppe der syrischen Migrant:innen fokussiert primär auf die psychische Gesundheit. Unklar ist, wie sich einzelne Gesundheitsverhalten dieser Bevölkerungsgruppe, z.B. bezogen auf Ernährung und Bewegung, zu Beginn des Aufenthaltes in Deutschland verhalten und wie sich diese Verhaltensweisen mit zunehmendem Aufenthalt verändern. Die vorliegende Arbeit hat diese Forschungslücke aufgegriffen und folgende Forschungsfragen zu a) dem Stellenwert von Gesundheit und Gesundheitsförderung; b) den Einflussfaktoren auf gesundheitsbezogene Verhaltensweisen; c) dem Zugang zu Präventionsangeboten; d) unterstützenden sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen im Alltag der syrischen Migrant:innen gestellt.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitativ-exploratives Forschungsdesign gewählt, welches dem sozialwissenschaftlichen Ansatz der Grounded Theory nach Glaser und Strauss zugrunde liegt. Die Arbeit umfasst eine longitudinale leitfadengestützte Interviewstudie mit der Zielgruppe zu zwei Zeitpunkten (t₀ n=30, t₁ n=17) sowie eine Fokusgruppenbefragung mit 24 Expert:innen aus dem Bereich der migrationsspezifischen Gesundheitsförderung.
Die Narrative der beiden Studien lassen einen zeitlichen Verlauf erkennen, in welchem die eigene Gesundheit sowie gesundheitsförderliche Verhaltensweisen eine unterschiedlich starke Gewichtung im Alltag der Migrant:innen einnehmen. Anhand der Ergebnisse lassen sich drei Phasen formulieren, welche syrische Migrant:innen in ihren ersten Aufenthaltsjahren im Gastland durchlaufen. Die erste Phase ist durch Behördengänge geprägt, um administrative und rechtliche Sachverhalte zu klären, wodurch der eigenen Gesundheit sowie gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen wenig Relevanz zugeschrieben wird. Der Übergang von einer ersten hin zu einer zweiten Phase stellt für viele Migrant:innen einen Umbruch dar. Viele erleben in dieser Phase zahlreiche Förderfaktoren, um gesundheitsförderliche Verhaltensweisen stärker in den Alltag zu integrieren, wie beispielsweise neue Zukunftsperspektiven im Gastland oder westliche Verhaltensnormen. Aufgrund des doppelten biographischen Bruches, welcher mit der Migration nach Deutschland und dem damit verbundenen Auszug aus dem Elternhaus durchlaufen wird, erleben viele Migrant:innen auch Barrieren, um gesundheitsförderliche Verhaltensweisen in gewünschtem Umfang umzusetzen. Die soziale Umgebung (z.B. Mitbewohner:innen, Angehörige, Helferkreise) kann dabei eine wichtige Stütze sein, um gesundheitsbezogene Verhaltensweisen aufrechtzuerhalten. Im Übergang von Phase 2 zu Phase 3 können gesundheitsrelevante Verhaltensweisen etabliert und in die gefestigteren Alltagsabläufe der Migrant:innen eingebunden werden. In Phase 3 ist der Alltag geprägt durch das Absolvieren einer (akademische) Ausbildung oder einer Erwerbstätigkeit, welche aufgrund der neuen Sprache als anspruchsvolle Aufgaben gewertet wurde. Die Bewältigung traumatischer Flucht- und Migrationserlebnisse sowie hoher Akkulturationsanforderungen in einem fremden Land erfordern des Weiteren die völlige Aufmerksamkeit der Migrant:innen. Diese beiden Faktoren können zu einer geringeren Priorisierung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen führen. Der (gemeinsame) Verzehr heimischer Gerichte, kann als kurzeitige Ausflucht aus den psychischen Belastungen fungieren. Auch regelmäßige körperliche Aktivität stellt für manche ein geeigneter Coping-Mechanismus dar, um besser mit belastenden Ereignissen umgehen zu können. Für andere stellt die mentale Situation eine zu große Barriere da, um regelmäßig körperlich aktiv zu ein.
Anhand der Ergebnisse wurden nach dem Paradigma „health in all policy“ der Gesundheitsförderung, elf multisektorial angesiedelte Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis formuliert. Sowohl in Politik als auch Public-Health-Praktiken müssen die spezifischen Bedürfnisse syrischer Migrant:innen stärker eingebunden werden und unterstützende gesellschaftliche Strukturen in der Lern- und Arbeitswelt, als auch der sozioökonomischen und physischen Umwelt dieser Bevölkerungsgruppe geschaffen werden. Zukünftige Forschung sollte sich weiterhin mit den Lebensbedingungen syrischer Migrant:innen und deren Auswirkungen auf gesundheitsrelevante Verhaltensweisen konzentrieren. Aufgrund des anhaltenden Konfliktes in Syrien ist ein fortdauernder Aufenthalt der Zielgruppe in Deutschland anzunehmen, welcher über die in der Arbeit beschriebenen drei Phasen hinausgehen kann.
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
Migration movements from the Middle East to Europe are characterizing the second decade of the 21st century in Europe. One of the main causes is the since 2011 ongoing Syrian civil war, which has had a significant impact on the social and political discussion in Europe and especially in Germany. Syrian migrants are the largest group of registered asylum seekers and the third largest group of ...
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
Migration movements from the Middle East to Europe are characterizing the second decade of the 21st century in Europe. One of the main causes is the since 2011 ongoing Syrian civil war, which has had a significant impact on the social and political discussion in Europe and especially in Germany. Syrian migrants are the largest group of registered asylum seekers and the third largest group of foreigners in Germany. They represent a relevant and new population group for the field of preventive medicine and health promotion. Previous research on Syrian migrants has primarily focused on mental health issues. Thus, little is known about the health behavior of this population group, especially regarding nutrition and physical activity, and how it might change with increasing length of stay in the host country. The present thesis has addressed this research gap and posed research questions on a) the significance of health and health behavior; b) the factors influencing health behavior; c) access to preventive services; d) supportive social and organizational conditions in the everyday lives of Syrian migrants.
To answer these research questions, a qualitative-explorative research design was chosen, which is based on grounded theory methodology. The thesis comprises a longitudinal qualitative interview study with Syrian migrants with a follow-up after 12 months (t₀ n=30, t₁ n=17) as well as a focus group study with 24 experts from the field of migration-specific health promotion.
The narratives of the two studies reveal a temporal course in which the Syrian migrants' own health and health-promoting behaviors take on different considerations in their everyday lives. Based on the results, three phases could be derived which Syrian migrants underwent during their first years of residence in the host country. The first phase is characterized by visits to the authorities to clarify administrative and legal matters, which means that little relevance is attributed to their own health or health-promoting behaviors. The transition from the first to the second phase represents a radical change for many migrants. In this phase, many experience numerous supportive factors which help them to integrate health-promoting behaviors more strongly into everyday life, such as new future perspectives or westernized behavioral patterns. However, due to the double biographical break that Syrian migrants go through with their migration to Germany and the associated departure from their parental home, many migrants also experience some barriers in implementing health-promoting behaviors. The social environment (e.g. flat mates, relatives, volunteers) can be an important support in maintaining health-related behaviors. In the transition from phase 2 to phase 3, health-related behaviors can be established and integrated into the migrants' more established daily routines. In phase 3, everyday life is characterized by the completion of (academic) training or gainful employment, which was rated as challenging task due to the foreign language. Coping with traumatic flight and migration experiences as well as high acculturation demands in a foreign country also require the complete attention of the migrants. This can lead to a lower prioritization of health-promoting behaviors. Eating traditional Syrian food (together with peers) can act as a temporary escape from mental distress. Some migrants reported to suffer from fatigue and lack of energy and motivation to be physically active. Whereas others felt that physical activity was as a way of distracting them from their daily worries.
Based on the results, eleven multisectoral implications for future policy and practice were formulated according to the "health in all policy" paradigm of modern health promotion. Prospectively, political as well as public health efforts must increasingly address the specific needs of Syrian migrants and create supportive social structures in the learning and working environment as well as the socio-economic and physical environment of the migrants. Future research should continue to focus on the living conditions of Syrian migrants and their impact on health-related behaviors. Due to the ongoing conflict in Syria, it can be assumed that the target group will continue to stay in Germany, which may go beyond the three phases described in this thesis.
Metadaten zuletzt geändert: 18 Aug 2021 11:54