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- URN zum Zitieren dieses Dokuments:
- urn:nbn:de:bvb:355-epub-433997
- DOI zum Zitieren dieses Dokuments:
- 10.5283/epub.43399
Dokumentenart: | Hochschulschrift der Universität Regensburg (Dissertation) |
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Open Access Art: | Primärpublikation |
Datum: | 28 August 2020 |
Begutachter (Erstgutachter): | Prof. Dr. Walter Koschmal |
Tag der Prüfung: | 6 April 2018 |
Institutionen: | Sprach- und Literatur- und Kulturwissenschaften > Institut für Slavistik Sprach- und Literatur- und Kulturwissenschaften > Institut für Slavistik > Lehrstuhl für slawistische Philologie | Literatur- und Kulturwissenschaft (Prof. Dr. Walter Koschmal) |
Stichwörter / Keywords: | zeitgenössischer russischer Heiligenviten, 1988, 2015, Orthodoxie in Russland, Viten |
Dewey-Dezimal-Klassifikation: | 200 Religion > 230 Theologie, Christentum 400 Sprache > 490 Andere Sprachen 800 Literatur > 890 Literatur in anderen Sprachen |
Status: | Veröffentlicht |
Begutachtet: | Ja, diese Version wurde begutachtet |
An der Universität Regensburg entstanden: | Ja |
Dokumenten-ID: | 43399 |
Zusammenfassung (Deutsch)
Die vorliegende Studie greift mit der Frage nach russischen Heiligenlegenden, die in der Zeit zwischen 1988 und 2015 entstanden sind, ein Thema auf, das in der Forschung bisher nicht behandelt worden ist. Die Fragen nach den konkreten AutorInnen und LeserInnen wurde ebenso wenig gestellt wie die nach Gattungen, nach der Funktion dieser Texte, nach der Zensur und nach weiteren kulturellen ...
Zusammenfassung (Deutsch)
Die vorliegende Studie greift mit der Frage nach russischen Heiligenlegenden, die in der Zeit zwischen 1988 und 2015 entstanden sind, ein Thema auf, das in der Forschung bisher nicht behandelt worden ist. Die Fragen nach den konkreten AutorInnen und LeserInnen wurde ebenso wenig gestellt wie die nach Gattungen, nach der Funktion dieser Texte, nach der Zensur und nach weiteren kulturellen Kontexten.
Die Studie will vor allem zeigen, welche Einstellungen AutorInnen und LeserInnen zu diesen aktuellen Vitentexten einnehmen und wie sich die Gegenwart auf die Themen und die Poetik der Texte auswirkt. Dabei geht die Arbeit von einschlägigen Studien zu meist älteren Heiligenviten von Živov, Ključevskij, des Zakon Božij von Slobodskoj u. a. Autoren und Texten aus.
Die Studie konzentriert sich auf Texte, die zwischen 1988 und 2015 entstanden und in russischer Sprache geschrieben sind. Zudem beschränkt sich der Kreis der thematisierten Heiligen auf jene des Moskauer Patriarchats. Das heißt, es geht vor allem um Publikationen zu Märtyrern wie Iegumen Damaskin (Orlovskij), Svetlana Devjatova u. a. Sie sind entweder gedruckt verbreitet oder finden sich auf meist populären Internetseiten.
Da die Vita (russisch „žitie“) bereits eine zentrale Gattung des mittelalterlichen geistlichen Schrifttums ist, wird in der Studie vor allem nach Veränderungen in deren zeitgenössischen Varianten gefragt, wobei Autor und Leser im Vordergrund stehen.
Eine grundlegende Veränderung, die an Beispielen aufgezeigt wird, ist die Tatsache, dass AutorInnen nicht mehr nur Männer, sondern auch Frauen sein können. Von den in dieser Studie behandelten Viten wurden mehr als ein Viertel von Frauen verfasst. Das zeigt Auswirkungen auf Form und Inhalt.
Die AutorInnen von Viten haben in der Regel auch heute eine höhere geistige und geistliche Bildung. Doch im Unterschied zur alten ‚klassischen‘ Vita finden sich heute unter den AutorInnen auch Laien. Ihre Texte müssen mitunter eher als Pseudoviten bezeichnet werden. Der Autor bzw. Erzähler heutiger Viten orientiert sich sehr häufig an einem impliziten und / oder abstrakten Leser bzw. an Leserinnen, die als orthodox Gläubige vorausgesetzt werden. Bei ihnen wird nicht nur die Kenntnis des Russischen und / oder Altkirchenslavischen vorausgesetzt, sondern auch ein Vorwissen zur Orthodoxie und ihrer Ethik, aber auch die Kenntnis früherer Viten. Poetik und literarischer Kanon zielen also vor allem auf diese Leserschaft ab und sind vor allem dieser zugänglich und verständlich. Heutige AutorInnen schreiben aber verstärkt subjektiv. Sie bewerten etwa historische Vorgänge (z. B. die Verfolgung der Kirche) und historische Figuren (z. B. Ivan Groznyj, Grigorij Rasputin oder auch Stalin) recht klar und eindeutig. Dabei können unterschiedliche AutorInnen, etwa im Falle Rasputins, durchaus auch entgegengesetzte Haltungen einnehmen.
Diese recht subjektiv ausgerichteten Erzähler können sowohl implizit im Text erscheinen, indem sie expressive Wertungen, etwa Sündhaftigkeit des Verhaltens, vertreten. Sie können aber auch als reale Figuren in Erscheinung treten. Fiktive Leser sind dagegen meist nur implizit präsent, nur selten auch explizit.
Eine Gattungsvariante stellen Viten für Kinder dar. Sie werden formal wie Kinderbücher gestaltet, das heißt dass sie mit Bildern ausgestattet werden. Aber auch ihre Sprache ist eine einfache, kindgemäße. Mitunter werden diese Texte schon im Titel als „Viten für Kinder“ ausgewiesen.
Um welche Gattungsvariante es sich auch handelt, entscheidend ist und bleibt die Dominanz der ideologisch-didaktischen Funktion. Sie kennzeichnet alle Vitentexte. Gerade viele zeitgenössische Heilige sollen als Modelle zur Nachahmung dienen.
Anders als in der klassischen Vita mit relativ starren Regeln sind die Gattungsvarianten der modernen Vita zahlreich. Denn es gibt auch Kurzviten, Chronik-Viten, bloße Lebensbeschreibungen auch von Heiligen, Erinnerungen, Pseudoviten, Autobiografien und reihende Vitensammlungen. Eine ungewöhnliche Gattungsvariante bildet Nina Pavlovas „Pascha krasnaja“ („Rotes Ostern“), das neben Lebensbeschreibungen auch Detektivgeschichten enthält.
Vorherrschend aber sind Viten von Märtyrern. Quantitativ folgen darauf Viten von ‚Narren in Christo“ („jurodivye“) und Viten von ‚Gerechten‘. Dennoch haben sich auch diese Gattungsvarianten verändert. Märchenhafte Motive fehlen in modernen Märtyrerviten. Dafür sind sie durch eine Fülle biografischer Details und thematischer Neuerungen, etwa Tod durch Erschießen, gekennzeichnet. Bei den Viten zu ‚Narren in Christo“ ist die große Zahl der weiblichen Viten besonders auffällig. Damit einher geht eine deutliche thematische Verschiebung hin zu Themen des (privaten) Alltags wie etwa Familie. Bei den Viten der Gerechten werden häufig gerechte Priester dargestellt, die dem weißen Klerus angehören.
Zeitgenössische Viten werden entweder – klassisch – schriftlich tradiert oder auch mündlich. Manche der Viten werden zuerst mündlich überliefert, ehe sie schriftlich fixiert werden. Vermutlich hat es dies auch schon bei der ‚klassischen‘ Vita gegeben. Doch weichen die zeitgenössischen Texte grundlegend in ihrer Sprache ab. Es handelt sich dabei oft um aktuelle orthodoxe Soziolekte, aber auch um Neologismen aus der Sowjetzeit.
Sprache und Stil haben ihre frühere Homogenität eingebüßt, da das auktoriale Individuum sich auch sprachlich und stilistisch stärker zur Geltung bringt. Das gilt ganz besonders auch für Autorinnen, deren Stil und Themen. Emotionale Themen, familiäre Fragen und der Lebensalltag werden von Autorinnen ebenso stärker aufgegriffen wie sie auch Wunder und Prophezeiungen thematisieren.
In allen modernen Viten zeichnet sich aber auch eine biografistische Transformation der Vita ab: So werden exakte Lebensdaten von Heiligen angeführt, Ereignisse werden datiert. Die Vita nähert sich der Biografie an. Damit wird die Unbestimmtheit, das vom realen Leben Abstrahierende der klassischen Vita, zurückgedrängt. Die zahlreichen Zitate aus Briefen oder Erinnerungen, aus Zeitungen und Zeitschriften, aber auch aus Werken von Heiligen erhöhen den dokumentarisch-historischen Charakter der Texte. Das Internet als Medium der Verbreitung heutiger Viten trägt ein Übriges zu deren grundlegender Transformation bei.
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
The present study addresses the question of Russian legends of Saints, which were created between 1988 and 2015, a topic that has not been discussed in research so far. The questions about the specific authors and readers just as those about genres, the function of these texts, the censorship, and other cultural contexts were not raised. The main aim of the study is to show the attitudes of ...
Übersetzung der Zusammenfassung (Englisch)
The present study addresses the question of Russian legends of Saints, which were created between 1988 and 2015, a topic that has not been discussed in research so far. The questions about the specific authors and readers just as those about genres, the function of these texts, the censorship, and other cultural contexts were not raised.
The main aim of the study is to show the attitudes of authors and readers towards these current texts of the lives of the Saints and how this affects the topics and poetics of the texts. The work is based on relevant studies on mostly older lives of the Saints from Živov, Ključevskij, Zakon Božij (“The Law of God”) by Slobodskoj, and other authors and texts.
The study focuses on the texts produced between 1988 and 2015 and written in Russian. Besides, the circle of themed Saints is limited to those of the Moscow Patriarchate. This means it mainly deals with the publications on martyrs completed by such authors as Hegumen Damaskin (Orlovskij), Svetlana Devyatova, and others. They are either printed or can be found on the most popular websites.
Since life of the Saint (Russian "žitie") is already a central genre of medieval spiritual literature (in itself), the study primarily examines changes in its contemporary variants, with the author and reader in the foreground.
A fundamental change, which is shown in the examples, lies in the fact that the authors can no longer only be men, but also women. More than a quarter of the hagiographies treated in this study were written by women. This has an impact on form and content.
As a rule, nowadays, as before, the authors of the lives of the Saints have a higher spiritual and religious education. Nonetheless, in contrast to the old 'classical' lives of the Saints, there are also laymen among the authors today. Their texts sometimes have to be called Pseudo-hagiographies. The author or narrator of today's life of the Saint is very often oriented towards an implicit and/or abstract reader or readers who are assumed to be orthodox believers. They require not only knowledge of Russian and/or Old Church Slavonic, but also a prior knowledge of Orthodoxy and its ethics, as well as knowledge of earlier lives of the Saints. Poetics and literary canon are therefore aimed primarily at this readership and are accessible and understandable above all to this readership. Today's authors write more subjectively. They assess historical events (e.g. the persecution of the Church) and historical figures (e.g. Ivan Groznyj, Grigory Rasputin, or Stalin) quite clearly and unambiguously. Different authors, for example in the case of Rasputin, can also adopt opposite attitudes.
These quite subjectively oriented narrators can appear implicitly in the text by representing expressive evaluations, such as sinfulness of behavior. But they can also appear as real figures. Fictional readers, on the other hand, are usually only implicitly present, only rarely explicitly.
A genre variant represents the lives of the Saints for children. They are formally designed like children's books, which means they are equipped with pictures. But their language is a simple, child-like one too. Sometimes these texts are marked already in the title as "The Lives of the Saints for children".
Whatever genre variant it is, the dominance of the ideological-didactic function is and remains decisive. It features all texts of the lives of the Saints. Especially many contemporary Saints are supposed to serve as role models.
Unlike the classical lives of the Saints with relatively rigid rules, the genre variants of the modern lives of the Saints are numerous. There are short lives, Chronicle lives, mere descriptions of the lives of Saints, memories, pseudo-hagiographies, autobiographies, and series of collections of lives of the Saints. Nina pavlova's "Pasha Krasnaya" ("Red Easter"), which contains not only descriptions of life but also detective stories, represents an unusual genre variant.
However, the hagiographies of martyrs are predominant. Quantitatively, they are followed by hagiographies of the 'holy fools' ("jurodivye") and hagiographies of 'righteous'. Nevertheless, these genre variants have also changed. Fairy-tale motifs are missing in modern hagiographies of martyrs. They are characterized by a wealth of biographical details and thematic innovations, such as death by shooting. In the case of the hagiographies of "fools in Christ", the large number of female hagiographies is particularly striking. This is accompanied by a clear thematic shift towards topics of (private) everyday life such as family. The lives of the righteous often depict righteous priests who belong to the white clergy.
Contemporary lives of the Saints are handed down in either classical style, i.e. in a written form, or orally. Some of the lives of the Saints are first handed down orally before they are fixed in a written form. Presumably, this has already been the case with the 'classical' lives of the Saints. But the contemporary texts differ fundamentally in their language. These often include current Orthodox Sociolects, as well as neologisms from the Soviet era.
Language and style have lost their former homogeneity since the individual authors differ in linguistics and style. This is especially true for the female authors, their style, and their themes. Emotional topics, family questions, and everyday life are taken up by the female authors just as much as the topics of miracles and prophecies.
However, all modern lives of the Saints have also a biographical transformation: namely, the exact dates of life of the Saints are given, events are dated. The hagiography comes close to the biography. Thus the indeterminacy, the abstracting of the classical hagiography from real life, is pushed back. The numerous quotations from letters or memories, from newspapers and magazines, as well as from works by the Saints increase the documentary-historical character of the texts. The Internet as a means of disseminating the modern lives of the Saints contributes to their fundamental transformation.
Metadaten zuletzt geändert: 25 Nov 2020 16:24